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Runterkommen ist schwerer als rauf. Bergsteiger wissen das. Der Abstieg lässt nicht so prusten, aber er geht mehr in die Beine. Als Radfahrerin bevorzuge ich das Bergab. Seit ich ein EBike habe, ist es eigentlich ziemlich schnuppe, das ist das Schöne daran, jeder Berg wird flach. Trotzdem hat es sich in mir festgebrannt – lieber bergab, und so brauchte es nun eine Weile, bis mir klar wurde, weshalb ich mich so wundere und schwertue dieser Tage. - Weil mir das Runterkommen schwerer fällt als raufwärts.

Als familienbedingt das Leben plötzlich so voll wurde, dass jeder Tag zu kurz wird und die Woche zu wenig Tage hat, ging es leicht, mich drauf einzustellen. „Das ist jetzt so.“ Basta. Dann wird anders geplant und jeder Leerlauf rausgeschnitten. Dann gibt es keine Minute mehr ohne „dringend“. Ohnehin verschieben sich die Prioritäten; das Notwendigste zuerst. Alles, das warten kann, tut das auf unbestimmte Zeit. So geht´s. Aber irgendwann merke ich dann doch, dass es mir zuviel wird. Wenn sich rechts und links meiner Strecke zu viel anhäuft, wenn all das Liegengebliebene, Wartende, anfängt auf mich runterzuschauen. Dann schiebt es sich in die Nächte und drückt auf die Laune. Dann werde ich unduldsam in Momenten, die das weder verschuldet noch verdient haben. Oder es kommt ein harsches Wort raus, das ich hinterher gerne zurücknehmen würde. Das geht, aber es dauert und ist schwerer. Aufgeregt sein ist leicht. Zum Abregen muss ich die ganze Kiste denken. Mein auf Blöd-drauf-sein folgendes, schlechtes Gewissen macht die Lage nicht besser. Spätestens dann weiß ich, es muss was geschehen.

Zum Glück hat es sich nun so gefügt, dass die Zeit gereicht hat, die familiäre Situation zu regeln und anders zu gestalten, so dass wieder etwas Luft bleibt. Ich kann Gas rausnehmen. Und eben da stelle ich dann fest, das fällt mir in etwa so schwer wie einem Autofreak und FDPler, wenn´s ums Tempolimit geht. Gas weg. Nicht so leicht getan. Bei allem, was ich tue, bleibt das Gefühl, es gäbe Wichtigeres, Drängenderes. Geruhsames Eines-nach-dem-anderen-Tun wird schnell zu Alles-gleichzeitig – und dann ist nichts gescheit gemacht. Die Prioritäten zurückzusetzen auf Normal-Null, das mir wieder erlaubt, Dinge zu tun, einfach, weil ich sie gerne tue und sie mir am Herzen liegen, das ist schwerer getan als andersrum. Notwendigkeiten bezwingen. Gelüste, Lieben und Vorlieben scheinen schnell wie Luxus. Ich arbeite dran.

Meiner Mutter fällt an der Pflegebedürftigkeit am Schwersten, dass sie nicht mehr schaffen kann. Sie fühlt sich unnütz. Ich sage dann immer, „Du hast geschafft für zwei Leben. Lass gut sein. Dem Körper reicht´s.“ Sie hat mit zehn angefangen zu schuften wie ein Großes. Aber der schwäbisch-protestantische Arbeitsethos samt Effektivititätszwang stecken tief drin. Unproduktives Im-Nest-liegen haben da keinen Platz. Man ist auf der Welt um Pflichten zu erfüllen, und worin die bestehen, das legen andere fest. Die Wirtschaft schreit „Leistung!“, alle preschen los, und wer krank daran wird oder scheitert, ist unwert. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn sie mehr Nichtstun und Muse erlaubte; man kann auch sagen „Faulheit“. Manche Arbeit wäre besser, sie wäre nicht gemacht. Manche Produkte sind das Material ja nicht wert, aus dem sie sind; dafür lohnt es nicht, den Planeten zu plündern. Diogenes brauchte nichts, als sein Fass und Sonne, und in Afrika, so jedenfalls erzählt es Tanja Blixen, die „Jenseits von Afrika“ erlebt und geschrieben hat, gilt Warten als gewonnene Zeit. Weniger ist mehr.

Gas weg. Für die FDP undenkbar; für die steckt die Freiheit im Gaspedal. Für Elon Musk auch. Der baut Autos ab 300 PS, betet „Leistung“ an und ist so gerne reich und mächtig. Er schafft was Gutes - marktfähige EMobilität – und verhunzt es im selben Moment, weil er dem Gedanken, wozu das Ganze gut sein soll, ausweicht und ihn grünwäscht. Jetzt will er Twitter übernehmen - für mehr Meinungsfreiheit, und ich denke, was er meint, ist freie Manipulation, Fehlinformation und Demagogie. Nein, es ist nicht jede Sprache frei. Sprache gehört zum Zusammenleben, zur Gesellschaft, und sie sollte sich nicht gegen diese wenden.

Putin sollte Gas raus nehmen, Selenskyj ebenso, und mit ihnen alle, die diesen Krieg füttern und unterstützen. Diese Kriegshetze. Dieses Wüten. Kann man da so gar nicht runterkommen? Geht das wirklich erst, wenn einer am Boden liegt? Ich verstehe es nicht. Und ich verstehe auch nicht, WER da plötzlich alles für mehr Waffen und Aufrüstung ist - Leute, die ich seit der Menschenkette ´82 stets als besonnen wähnte. Und jetzt will man befeuern. Putin redet von Vernichtung, und Selenskyj will kämpfen „bis zum letzten Blutstropfen“. Selbst da, wo es aller Wahrscheinlichkeit nach aussichtslos ist - Mariupol, zerstört und eingekesselt. In so einem Halten-wollen um jeden Preis geht es wirklich um den letzten Blutstropfen, um jeden einzelnen Soldaten, alles Leute, die ein Leben haben und es dann lassen müssen. Ich finde das ganz ungeheuerlich und nicht hinnehmbar. Es ist ja vielmehr so, dass Selenskyj kämpfen LASSEN will. Die so reden sind ja nicht die, um deren Blut es geht. Es sollte eine Regel sein: wer so redet, stellt sich in vorderste Front!

Ich glaube, ich bin Pazifistin. Ich habe da früher kaum drüber nachgedacht, aber jetzt stelle ich einen so heftigen Widerwillen gegen diesen Krieg in mir fest, dass ich zu dem Schluss komme, ich glaube, ich bin Pazifistin.

Es fällt mir nur ein einziger Krieg ein, der besser wurde, indem mehr mitmachten. Und das war der gegen Nazi-Deutschland. Das war der gegen den Wahn eines Dritte Reiches, gegen Faschismus und die Shoah. Und diese ist es auch, die den massiven Krieg rechtfertigte. Solch ein Morden darf nicht sein. Aber diese Art des Mordens ist auch einzig und mit der Situation heute in der Ukraine nicht vergleichbar. Putin ist ein mieser, tiefgestörter, testosteronverseuchter Dreckskerl und dieser Krieg vor allem sein Irrsinn. Trotzdem ist es nicht dieselbe Situation wie 1945 und auch nicht vergleichbar. Mag sein, Putin wird sich gar nicht stoppen lassen, auch mit Zugeständnissen nicht. Immer wieder wird an die Wand gemalt, wie er dann weitermachen könnte. Aber das wäre abzuwarten. Man muss Eskalationen nicht unterstellend vorwegnehmen. Das ist das Gegenteil von De-Eskalation. Mein eigenes, kleines Leben ist mit der großen Politik nicht vergleichbar, das ist mir klar. Aber persönlich weiß ich mich am Stärksten, wenn ich ohne Zweifel und Unsicherheiten bin, wenn ich mein Tun ohne Konjunktive „wenn, dann hättewärewürde“ rechtfertigen kann; wenn die Eskalation, gegen die ich mich wende, mich tatsächlich trifft. Sie tut es dann nicht unvorbereitet. Den Weg heraus weiß ich an diesem Punkt dann schon und habe alle Argumente auf meiner Seite. Okay, die Idee davon. Aber Krieg ist auch nichts anderes als die Idee vom Sieg.

Ich glaube, dieser jetzige Krieg wäre vermeidbar gewesen. Man hätte aufrichtiger die jeweiligen Positionen darlegen und verhandeln können, der Westen wie der Osten. Man hätte die Interessen von vornherein besser ausgleichen können - Wenn man freilich bereit gewesen wäre, nicht nur dem eigenen Vorteil nachzugehen. Dieser Krieg ist ein Versagen der Politik, und er wird nicht besser, wenn man drüber weg ballert. Und selbst wenn die Ukraine den Krieg gewänne, bedeutete das in diesem Fall nicht unbedingt Frieden. Dieser Konflikt bliebe ungelöst. Wozu also all die Toten?

Natürlich sehe ich, dass die Ukraine leidet, dass Menschen sterben und leiden. Und ich stimme zu, das muss ein Ende haben. Sofort. Aber anders. Indem man die Verhandlungen, wie sie zuvor geführt gehört hätten, schleunigst nachholt. Dann ist die Ukraine eben NICHT Natomitglied. Dann sei das Donbass und Luhansk eben russisch. Irgendwie, so rein geographisch angesehen, scheint mir das nicht ganz abwegig. Und ja, dann ist Mariupol halt ebenfalls weg, der Zugang zum Asowschen Meer. Dann soll meinetwegen der Rest der Ukraine zur EU gehören oder eine besondere Partnerschaft mit dieser eingehen, und sie soll davon profitieren. Das Eine verloren, das andere gewonnen. Auch Frieden kostet. 

Abbrüsten. Zur Idee der Abschreckung genügt es, den anderen ein einziges Mal auslöschen zu können. Man braucht es nicht zigfach. Und in diesem Abrüsten, das so gesehen erstmal also auch einseitig geht, kann man wieder verhandeln: Wie wäre es beidseitig und gemeinsam? Was könnte man schaffen, wenn man die ganze Energie in Konstruktiveres steckte. Dann die Kriegsmaschinerie abbauen und den Zorn und das ganze Hetzen rausnehmen. Diese immer kleinteiliger werdenden, nationalistischen Bestrebungen, als Freiheitskämpfe deklariert. Ich weiß es nicht, ich bin zu weit weg, aber bisweilen kommen sie mir vor wie kleinkariertes Gezänk. Die Nachbarn sind ein wenig anders, und also kann man nicht mit ihnen. Ohnehin erscheint Nationalismus mir als Strohhalm für emotional kaputte Geister.  Und jegliche Großmachtsfantasien müsste man als das begreifen, was sie sind –  blöd, zerstörerisch und anmaßend. Ich will gar nicht bei den Siegern sein.

Frieden. Imagine. Man stelle sich vor -„nothing to kill or die for.” Ich mag den Song von John Lennon sehr. Es wird schnell Naivität vorgeworfen, wenn man an eine bessere Welt glaubt. Zu Unrecht, finde ich. So ein abgeklärtes „die Menschen sind nunmal schlecht“ ist keine Haltung, die ich weitergeben will. Lieber aus Erfahrungen lernen. Es gibt ein ´Besser´. Es gibt ja auch keine Gladiatorenkämpfe mehr, und es wird niemand mehr als Hexe/r verbrannt.

„Besser“ geht. Wenn nicht der eigene Vorteil Grundlage allen Handelns ist und das Ziel „Frieden und Ausgleich“ heißt - jedem Wesen das seine, in respektvollem Umgang mit der Erde. Was denn sonst?

AFDler schäumen bei solchen Vorstellungen. Aber das sind auch Ärsche. Für die gilt „wir zuerst“, was heißt „ich und die meinen“, und sonst niemand. Nehmen, was zu nehmen geht. Purer Egoismus. In einer Welt, wie die sie sich träumen, will doch keiner leben, außer sie selbst halt. Alleine mit sich. Können sie ja von mir aus. Als Verein oder so. Aber ohne Macht und politische Einflussnahme. Vielleicht kann man mit dem einen oder anderen ein Bier trinken oder hat es ungewusst schon. Aber als Partei nehmen sie rechtsextreme, menschenfeindliche, ganz widerwärtige Positionen ein, bejubeln die Scharfmacher und stehen auf scharfmachende Autokraten. Ganz ekelhaft. Unbegreiflich auch das Ausmaß an Reichtum, auf dem manche beharren. Was hat der Milliardär von seinen paarhundert Milliarden, wenn die Erde versaut ist? Und selbst wenn´s nicht Milliarden sind – wozu diese Sucht nach „immer mehr“? Ich verstehe sie nicht. Mein Reichtum sind meine Freundschaften und Lieben und die Momente der Muse, wenn ich mich dem Rad entziehe.

Und das tue ich jetzt auch. Die Lieben sind alle gut versorgt, ich führe keinen Krieg, es ist Frühling und Wochenende. Und da ist ein Wasser.

Hinweis: Die in dieser Kolumne geäußerten Ansichten und Meinungen sind allein die des/der Autors/Autorin und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten unserer Redaktion wider. Wir übernehmen keine Verantwortung oder Haftung für den Inhalt dieser Kolumne.

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