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Ein langer Herbstabend

Zeit für eine Bestandsaufnahme
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Das neue Schuljahr läuft. In der zweiten Klasse wird spürbar ´verlangt´; es geht nicht mehr nur so darum, sich an die Schule als solches zu gewöhnen und irgendwie halt mitzukommen; es geht um abrufbare Leistung. Vielleicht liegt es daran, dass das morgendliche Aufstehen heuer schwerer fällt.

Auch der Kindergarten hat schon mehr begeistert. „Du bist nicht mehr meine Freundin“, sagt die eine, und das Kind spielt allein, und weil alles absolut gesehen wird - Zeit, Freundschaft, alles - ist das jetzt 'immer' so und wird 'nie wieder´ anders sein. „Probleme sind Lös-Sachen“, sage ich. Aber mit fünf fühlt man sich den meisten Lösungen gar nicht gewachsen. Und so müssen wir uns beide in Geduld üben, was zumindest mir seit je schwer fällt.

Im Frühjahr wächst neues Grass. „Just remember in the winter far beneath the bitter snows, lies the seed, that with the suns love in the spring becomes the rose”. Das ist doch ein Trost.

Im Job geht´s schon um Weihnachtsfeiern und Nikoläuse. Jedes Jahr kommt mir das zu schnell. Wir haben gerade erst die Kastanienketten aufgehängt. Advent, Weihnachten, Besinnlichkeit – ich kaufe Spekulatius für die Bewohner und manövriere mich nach bestem Wissen und Gewissen durch all dies ´Menscheln´, das ein Betrieb mit über tausend Mitarbeitern so mit sich bringt. An manchen Tagen menschelt es so sehr, dass die Sache mit der Besinnlichkeit eher utopisch ist. Das sind auch die Tage, an denen ich froh bin, keine Karriere gemacht zu haben.

Die Gitarre verstaubt in der Ecke, und ich hadere mit der schieren Unmöglichkeit, neben all den vielen Müssens des Alltags noch Zeit für die Wollens zu finden. Dabei straffe ich schon und lass die Neun gerade. Der Hof ist noch immer nicht ganz abgeräumt, und die Palmen, die nicht mehr in die Wohnung passen, warten bis dato aufs Eingepackt-werden. Ich wünsche mir einen Zeitgeist, der den Müßiggang hochhält und nicht so penetrant und gebetsmühlenartig Selbstoptimierung propagiert. Klar versuche ich, immer mein Bestes zu geben. Aber muss man das wirklich pausenlos tun? Dann gibt´s ja immer was zu tun, immer. - Voll stressig.

Ich verfolge die Nachrichten nur noch im groben Überblick. AKK sagt mir gar nichts. Heckler und Koch soll verkauft werden. Dafür WILL ich mich interessieren. Aber bis ich eine Zeitung erwische, ist es schon nicht mehr drin. Die Grundrente interessiert mich nicht sehr, wie mich Rente überhaupt wenig interessiert. Wer weiß schon, was bis dahin ist. Und ich habe auch gar nicht den Ehrgeiz, irgendeinen Lebensstandard halten zu müssen. Ich habe keine Angst vor ´weniger´, vielmehr könnte ich mir vorstellen, dass das Altern leichter fällt, wenn ich das Weniger-werden akzeptiere. Irgendwie ist das ja logisch und alles MUSS  weniger werden, die Energie, die Kräfte, und vielleicht auch die Wollens, und weshalb nicht auch Hab und Gut. Mitnehmen kann man´s eh nicht, und das Meiste ist ohnehin eine ziemliche Last. Trotzdem habe ich den leisen Verdacht, dass dieser Deal mit Grundrente und Unternehmenssteuerreform ziemlich bescheuert und ein ganz absurdes Bürokratiemonster ist.

Über den Irankonflikt weiß ich zu wenig, und ständig nehme ich mir vor, mich zu informieren, aber dann ist wieder was andres, ich suche Opas Gebiss, zum Beispiel, und finde es schließlich zwischen Toaster und Brotschneidemaschine, im Küchenschrank unten rechts. Oder ich muss das Einhorn meiner Tochter reparieren, das aus dem Horn die magische Fülle verliert.

Vom Wochenende ist noch ein Sekt offen im Kühlschrank. Ich werfe den Korken in den Müll, und da fällt mir ein, dass die Müllgebühren steigen sollen. Zwanzig Prozent oder was. Das ist nicht von Pappe. Und ich denke, ich würde diese zwanzig Prozent gerne zahlen, wenn ich dafür die Gewissheit hätte, dass der Müll auch wirklich so entsorgt wird, wie das versprochen ist. “Wir nennen es Wertstoff!“ So steht´s auf dem Müllauto. Und so nenne ich das auch. Der Korken ist Wertstoff, der Metallbügel, die Flasche, die Verpackung der Pralinen, die´s geschenkt dazu gab – alles Wertstoff. Und doch werfe ich das meiste davon, nämlich alles, worauf keines dieser besonderen Embleme gedruckt ist und was nicht groß genug ist, dass das Band automatisch richtig sortiert, in den Hausmüll, weil ich mir da wenigstens sicher sein kann, dass der nicht nach Malaysia oder sonstwohin verschifft und versehentlich über Bord gespült wird. So hat es die Dame vom Landratsamt gesagt – „wenn Sie sich nicht sicher sind, dann werfen Sie in den Hausmüll“. Die zwanzig Prozent seien Ausschreibungskosten. Okay. Aber mich würde interessieren, was da eigentlich wie ausgeschrieben ist.

Und dann geht es um Bäume in der Hochbrücktorstrasse. Herrje - ich fass es nicht, wieviel Wirbel um ein paar Bäume gemacht werden kann. Bäume in der Innenstadt fände ich toll. Ich habe alte Fotos gesehen von einem grünen ´Schwarzen Graben´. Die Stadt war mal grün. Von mir aus darf sie das gerne wieder sein. Aber mir scheint, Stadt und Grün passt in vielen Köpfen nicht zusammen, oder nur als Schau, als temporäre Geschichte, deren wirklich Bleibendes dann wiederum Bauwerk sein soll. Ich dagegen stelle mir diese Schau, die Landesgartenschau, als späteres Highlight eines neuen, grünen Daseins vor, mit hängenden Gärten, Bäumen in Fußgängerzonen, Blumenwiesen, bespielbaren Bachläufen, mit Spazierwegen und Neckarufern, wo Natur und Mensch verwoben sind, wo der Baum so viel Wert hat wie der Mensch, der sich in seinen Schatten setzt, und wo spürbar ist, da ist Grün nicht Schau und Wirtschaftsfaktor, sondern Lebensform.

Es ging diesen Sommer bei uns viel um Wut und Wohlwollen, und um Liebe und Freundschaft, und da ist sie wieder - die Liebe: ich stelle mir eine Landesgartenschau als eine bombastische Liebeserklärung an ein neues, grünes, gleichwohl urbanes Leben. Aber ich sehe sie halt nicht - die Liebe, wenn Bäume in Kübeln durch Straßen gekarrt werden sollen, damit sie ja nie im Weg sind. Und ich sehe sie auch nicht - die Liebe, wenn Randstreifen von Wegen so früh gemäht werden, dass keine Blume Zeit hatte fertig zu blühen und keine Larve ein Heim darin fand zum Reifen. Ich sehe sie nicht, wo grauenhaft laute Laubbläser jede kleine Ansammlung bunter Blätter wegblasen, bis nichts mehr bleibt, worin ein Igel sich verstecken könnte. (Abgesehen davon bringt es die Kinder um das völlig harmlose, kostenlose, wunderbare Vergnügen, ein Bad in knisterndem Laub zu nehmen). Ich sehe sie nicht, wo Maschinen, die groß genug wären, Mammutbäume zu fällen, einen Kahlschlag anrichten, der aus forstwirtschaftlicher Sicht sich vielleicht erklären lässt, dem aber jeder Flurschaden offensichtlich schnuppe ist - da bleiben Furchen zurück, in denen man ersaufen könnte, und aus Waldsicht wäre das Wort für all diese abgerissenen Äste und geknickten Stämme rechts und links vermutlich ´Massaker´.  Natürlich bleibt, wo ein Baum gefällt wird - und es mag bisweilen gute Gründe dafür geben - eine erstmal hässliche Leere. Aber mit etwas Feingefühl, da bin ich sicher, müsste die nicht ganz so schockierend sein. Ich unterstelle diesen Baumfällbeauftragten, wie auch den Lohnmähdreschern und Räum – und Streufahrzeugunternehmern eine bubenhafte Lust am großen Gefährt, die nicht entscheidet nach Notwendigkeit und Maß, sondern nach PS – es wird jeweils das stärkst mögliche Gerät benutzt. Ein sensibler Umgang sieht ganz bestimmt anders aus.

Das 'Grüner' sollte man schon wirklich wollen.

Und jetzt ist Sahra Wagenknecht zurückgetreten. Die war mir bisweilen nicht unsympathisch, wenngleich ich bei den Linken nicht verstehe, weshalb auch sie die Arbeit so hochhalten müssen. Als ob ein Mensch nur etwas wert wäre, wenn er produziert. Schrecklicher Gedanke.

Die Tauben sitzen wieder auf dem Apo-Dach. Die scheinen zufrieden. Immer wieder fliegen sie gesammelt auf und drehen ein paar beschwingte Runden, bevor sie sich erneut niederlassen. Zum intensiven Turteln ist dies nicht die Jahreszeit, aber ein bisschen sich unterhalten und zaghaft die Flügel ausstrecken vor der nächsten Saison kann man ja mal. Die leben auch vorrangig zum Spaß an der Freude. Eine weiße sitzt dazwischen; wir nennen sie Helga. Eine entflohene Hochzeitstaube, von der unter den Hochzeitsgästen gemutmaßt wurde, sie könne in Freiheit nicht überleben. Kann sie offenbar doch. Kann sie ganz hervorragend.

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