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copyright Rottweil inside

Ich habe original Rottweiler Kleidle nicht originalen Rottweilern ausgeliehen, mehrmals. Und ich bereue nicht. Beim einen ist es viele Jahre her, und der wohnt heute in just dem Haus, in das wir damals gingen zum Aufsagen. Der, kann man sagen, ist heute Rottweiler.  Einer Frau aus dem Badischen habe ich Mutters Schantle ausgeliehen; die Frau ist ihrer alten Heimat nach wie vor eng verbunden, aber die Tochter wächst in Rottweil auf und wollte so gerne mal – aber nur mit Mama.  Und dann ein Verwandter. Das entzieht sich meiner Zuständigkeit, aber ich würd es auch nicht streitig machen.

Wegen des familiären Friedens, und weil ich nicht so pienzig sein will. Der hat enge familiäre Beziehungen nach Rottweil, hat indes nie selbst in Rottweil gelebt. Trotzdem erlebte er eine original schwäbisch-alemannische Fasnet aus mehr als nur dem Zuschauerblickwinkel und erfuhr die Magie, die sich unter der Larve entfaltet. Und ich stelle mir vor, die festigt nicht nur  familiäre Bande, die nimmt er mit, wird Botschafter eben dieser Magie und trägt sie hinaus, auf dass sie auch in der Ferne blüht.

Was will man mehr?

Ich würde das keinen Bruch eines Brauchtums nennen, und auch keinen Ausverkauf eines Kulturguts, sondern Integration und Weltoffenheit.  Die Fasnet gehört nach Rottweil, gehören tut sie niemandem. Gehören tut sie sich selbst. Und sie macht mir nicht den Eindruck, als täte sie sich sonderlich schwer damit, sich je nach Lage der Dinge anzupassen.

Meine Eltern kamen in den später 60ern hierher, ich war eineinhalb Jahre alt.  Als meine Mutter in den fortgeschrittenen 70ern das erste Kleidle, einen wunderschönen Schantle,  zur Zulassung anmeldete, wurde sie von etlichen Bekannten angefeindet, das stehe ihr nicht zu.  Dem Schantle folgten andere, wenigstens zwei Kleidle wurden in der Zeit gekauft, in der diese mehr oder weniger meistbietend versteigert wurden. So kam das Gschell ins Haus. Es war sündhaft teuer, aber das Glück war groß. Ich sehe meinen Bruder noch, wie er von der Schule heimkam, den Wäschekorb im Flur sah, auf die Knie ging und es heraus und glückselig in Arm nahm. Sein Jubel durchdrang das ganze Haus. Im ersten Jahr ging er zum Abstempeln mit den Riemenverschlüssen auf dem Rücken. Vor dem Klo des Café Lehre hat eine Freundin den Faux-pas korrigiert. Gschellnarr mit Leib und Seele war er trotzdem.

In Rottweil Aufwachsen ist mit Fasnet aufwachsen. Wenn´s Heimat sein soll. Um diesen derzeit etwas determinierten Begriff zu verwenden. Ich finde es ein gutes Gefühl – Heimat. Selbst in der Fremde bewegt man sich sicherer, wenn man im Herzen diese Wurzeln hat. So habe ich das zumindest erfahren. Für Rottweiler ist die Fasnet identitätsstiftend und wurzelbildend. Aber wer bestimmt, wer sich als Rottweiler fühlen darf und wer nicht? Es gibt Rottweiler mit Stammbaum bis ins 15. Jahrhundert, und Zugezogene, alte und neue, Teilzeitrottweiler und Temporärrottweiler, innerstädtische und auswärtige, und ich behaupte, jedem steht es frei, sich dieser Stadt verbunden zu fühlen, so wie es ihm gut tut. Wer sagt, er ist ein Berliner, ist ein Berliner. Wer sagt, er ist Rottweiler, ist Rottweiler. So einfach sehe ich das.

Ich verstehe, dass man Tradition bewahren will und muss und jeder Wandel Fragen aufwirft. Ich verstehe, dass es mitunter neue Regeln brauchen kann, damit die Tradition nicht auseinanderfällt. Aber vielleicht ließe sich nicht nur das Bewahren, sondern  auch der Wandel wohlwollend denken. Die schiere Menge der Narren ist jedes Jahr aufs Neue Thema. Die Narren werden mehr, die Zuschauer weniger, und der Sprung hat bisweilen eine Länge, die schwer zu lenken ist. Und jedes Jahr werden mit Grusel und Schauder in der Stimme Geschichten erzählt, oder kolportiert, von Narren, die nach dem Beginn des ´Umzugs´ fragen, und keine Ahnung haben, was gemeint ist mit der Mahnung, während des Sprungs in jedem Fall die Larve unten zu lassen. Und manche können nicht mal Schwäbisch. Man stelle sich vor.

Ungeheuerlich?

Ich meine nicht.

Abgesehen davon, dass ich manche Geschichten für übertrieben halte, finde ich vieles auch nicht so schlimm. Die Welt ist heute eine andere als die vor 50 Jahren. Auch im Ländle spürt man die Folgen von Völkerwanderungen und zunehmender Mobilität. Rottweil ist Ausflugsort und lädt Touristen zu sich ein. Das verlangt der Stadt etwas Offenheit ab. Wer selbst schon gereist ist, weiß, wie großartig und inspirierend es ist, wenn man als Tourist nicht nur Zaungast bleibt, sondern teilhaben darf, wenn eine Tür zu einer anderen Kultur sich so öffnet, dass die sich hautnah erfahren lässt. Manch einem Gast will es eventuell nicht genügen, nur die Bonbons aus dem Rinnstein zu klauben und teures Geld für Souvenirs und mittelmäßige  Schorle auszugeben. Manch einer will erleben.

Und wie die Welt heute eine andere ist, so verändert sich halt auch die Fasnet. Herrje. Dann IST der Sprung halt lang. Dann wird auch mal hochdeutsch gejuchzt. Das hält sie aus, die Fasnet, da bin ich sicher. Sie hat schon sehr viel ausgehalten und sehr viele Gesichter gehabt. Tradition bewahren heißt nicht zwangsläufig einen Status-quo einfrieren zu müssen.

Früher durften Frauen nicht narren. Heute undenkbar. Weitestgehend. Von der Unmöglichkeit, als Frau auch mal Treiber im Rössle zu sein oder der ewigen Stammtischdiskussion, wieviel Oberweite als Federahannes noch schicklich ist mal abgesehen. Reichlich schräg! Wovor hat man denn da Angst? Was muss man denn da schützen? Dass die Fasnet einer anderen Zeitrechnung unterliegt, mag wohl sein. Aber in ihre Zeit passen darf sie schon.

Obwohl es ja noch Zünfte gibt, in denen Frauen nach wie vor als Narr verboten sind. Da schlucke ich und staune. Wenn ich mich zum Beispiel an die Schuttig erinnere, die sich 2017 abends vor dem Schwarzen Tor versammelten und zum (geringen) Teil so sturzbesoffen waren, dass sie am eigenen Kleidle hinabkotzten und den Platz in der Reihe nur mit Mühe und viel Unterstützung fanden, dann stelle ich mir vor, wäre so ein intergeschlechtliches Korrektiv vielleicht gar nicht so übel.

Nichts gegen Schuttig –sie sind toll!

Ich find´s nur komisch, dass alles, was an Narrentypen irgendetwas Wildes, Ungestümes, Triebhaftes an sich hat, Männern vorbehalten ist, sei es bei den Hänseln, den Schuttig, den Treibern, und eben den Federahannes, die zwar weiblich sein dürfen, aber bitte nicht zu offensichtlich. Versteh ich nicht. Wieso? Weil das früher so war? Früher war der Schantle im Anzug und mit Besen unterwegs. Ist er heute nicht mehr. Offenbar verändern auch Narrentypen sich und gewinnen Facetten hinzu. Ich empfinde das gerade NICHT als Verfall der Sitten sondern als Bereicherung.

Mein Verwandter kann zwar durchaus schwäbisch, aber das Auswärtige hört man. Er ist trotzdem ein toller Federahannes. Er springt toll, und er flirtet sehr charmant mit dem Publikum. Es gebe zu viele Federahannes, heißt es. Und das mag stimmen. Aber auch das ist kein Drama. Flirtende Federahannes sind noch lange nicht das Schlechteste.  Und wenn ein Gschell, Biß oder Fransenkleidle, oder Schantle, narrt, und kaum ein Rottweiler Gesicht und niemanden in den Zuschauerreihen kennt, aber einen netten Spruch drauf hat und wahllos und zufällig ausgewählt schnupfen lässt – die Chance, dass ein Fremder so auch mal zum Zug kommt, ist groß. Und was wäre dann Schlimmes passiert?

Der Sprung ist länger. Aber es haben auch mehr Leute Freude dran. So what.

Ich will nicht einem endlos ausufernden Sprung das Wort reden. Aber ich finde dies Jammern und Klagen und den Teufel an die Wand malen übertrieben.  Die Fasnet ist noch immer sehr schön, auch wenn sie sich verändert hat.

Mein Verwandter ist jetzt ein junger Mann, und irgendwann wird er vielleicht nicht mehr kommen. Aber wer weiß, vergessen wird er die Fasnet in Rottweil nicht, und in zwanzig Jahren hat er vielleicht Jahrgangstreffen und die Frage steht an, was man tut, und er organisiert den Bus nach Rottweil, mit Führung und Turm und Kuchen im Schädle. Es ist nicht unbedingt  schlimm, wenn auch Auswärtige eine Bindung zur Stadt bekommen.

Bei aller verständlichen Sorge um Brauchtum  und Wandel – ich kann diesen Geist des krampfhaften und/oder reflexartigen Draussenhalten-wollens einfach nicht besonders leiden. Meine Horrorgeschichten sind andere. Ich habe von Leuten gehört, die sich mehr oder weniger mit Stammbaum und Lebenslauf um ein Kleidle bewarben – und es am Ende doch nicht bekamen. Andere hatten mehr Glück, mussten das erhaltene Kleidle aber im Schutz der Dunkelheit zu später Stunde abholen und versprechen, absolutes Stillschweigen zu bewahren.

Ich habe auch keinen Rottweiler Stammbaum. Und wir hatten keine Kinderkleidle, sondern haben uns als Narrensamen stoisch und tapfer Füße und Finger abgefroren. Und unsere Larven stauben wir jedes Jahr selbst ab. Hab ich überhaupt kein Ding damit.

Und jetzt steht also wieder die Frage im Raum, wer wann in welchem Kleidle.

Für die Großen ist gesorgt. Aber das mit dem Narrensamen ist anders geworden. Kinder wachsen heute praktisch ins Kleidle hinein. Für den Buben haben wir einen Federahannes machen lassen; darauf sind wir stolz wie Bolle; er ist jetzt im zweiten Jahr mit Plakette und Fug und Recht dabei. Das Mädel will dies Jahr auch. Sie singt zwar mit Begeisterung und nicht nachlassender Energie ´Narro kugelrund´ und ´Ohjerum´ und hat das auch dieses Jahr wieder vor, sie liebt Bonbons, aber wenigstens ein Mal will sie dabei sein.  Für sie fehlt noch ein Kleidle. Sie ist sechs und einen starken Meter groß. Und ich meine, sie ist ein Fransenkleidle. Außerdem will das Mädchen mit der badischen Mutter wieder; diesmal getraut sie sich ohne Mama. Sie ist ca. 1,50 groß und war letztes Jahr mit großer Freude ein kleines Gschell. Wir freuen uns über Angebote. Wir leihen auch inkognito. Übergabe wenn gewünscht auf einem Autobahnparkplatz, wenn´s sein muss Sonntagmorgens um sechs, da ist garantiert keiner.  

Sorry. Kleiner Scherz J

In diesem Sinne – allseits eine glückselige Fasnet – Huhuhu.

Hinweis: Die in dieser Kolumne geäußerten Ansichten und Meinungen sind allein die des/der Autors/Autorin und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten unserer Redaktion wider. Wir übernehmen keine Verantwortung oder Haftung für den Inhalt dieser Kolumne.
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