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stay safe, stay home

Unser Hof
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Es wären Sonntage wie gemacht für lange Saunastunden, Spaziergänge an Uferpromenaden oder Wanderungen im Neckartal mit abschließendem, kühlem Radler an der Neckarburg. Die Ausgangsbeschränkungen machen allem einen Strich durch die Rechnung, und nicht nur durch meine, sondern durch die der meisten meines Blocks. Stattdessen trifft man sich im Hof, und das ist in dieser Konzentration auch neu.

Palmsonntag. Als ich nach unten kam waren sowohl der Nachbar aus dem Erdgeschoß, als auch die beiden Damen aus den Nachbarhäusern bereits da. Eine fehlte. Die macht sich heuer rar. Ich beneide sie um ihre große Terrasse. Wenn ich diese Terrasse hätte, würde ich ab Frühjahr darauf wohnen. Der Hof ist unterteilt in die zwei Stücke unseres Hauses, von denen wir, die Kinder und ich, das kleinere bewohnen und den gut einen Meter höheren  Parzellen, die zu den Nachbarhäusern gehören. Insgesamt teilen sich fünf Parteien den Platz zwischen den Häusern.

Wir haben ein ziemlich kleines Stück, auf das wir nichtsdestotrotz sehr stolz sind. Wir müssen drei Stockwerke hoch und runter gehen, und wenn wir unten essen, bin ich unentwegt am Treppensteigen und trainiere mir die Mahlzeit gleich wieder ab. Aber wir haben einen Platz zum Draussen-sein, und das ist die Hauptsache. Wir haben es selbst gerichtet. Vordem standen da zwischen modrig gewordenen Schilfmatten die Mülltonnen und lagerten  gelbe Säcke. Schön war das nicht.  Die Schilfmatten sind längst weg. Wand und Mauer zum höherliegenden Grundstück sind weiß  gestrichen  und weil ich so gerne mal nach Griechenland ginge, mit einem blauen Streifen verziert, und außerdem in strahlendem Gold Sonne, Mond und Sterne.  In der Mauer, die doch recht brüchig war,  sind mittlerweile ausrangierte Steine des Schwarzen Tors verarbeitet, was unsere Parzelle ein wenig adelt, meine ich. Wir haben eine Gartenbank rosa angestrichen und als Hollywoodschaukel an die Wäschestange gehängt, es gibt Platz für Tisch und Stuhl, Sonnenschirm und sogar eine kleine Planschwanne. Am Zaun hängen Blumentöpfe.  Die Palmen haben nicht mehr reingepasst; die stehen im größeren Teil des Nachbarn aus dem Erdgeschoß und tun das wohl – so ward dem unser Einzug in ´seinen´ Hof auch versüßt.

Der hatte sich zunächst schwer getan mit so viel Leben direkt vor seiner Nase, und wir bemühen uns sehr, seine Toleranz nicht zu arg zu strapazieren. Er ist geplagt genug. Er ist ein Mann, der schon einiges mitgemacht hat. Und es ist nicht spurlos an ihm vorüber gegangen.  Er ist bemüht, dem Dasein sein Gutes abzugewinnen, aber in jedem Spaß, selbst als Clown an der Fasnet, spürt man sein ´Trotzdem´, das Schwere, das auch auf dem Leichten liegt. Und manchmal nimmt er das Kleine groß und das Große klein.  So war es auch an diesem Palmsonntag, als ich in den Hof trat und die Runde grüßte. Vor lauter Aufregung fand er nicht die Zeit zurück zu grüßen, sondern wies gleich auf die Fliegengittertüre hin, bei der unten am Eck der Stoff ein wenig lose gewesen war. Eine Dreiviertelstunde habe er gebraucht um das zu reparieren!  Man solle sie künftig immer richtig zumachen, am besten unten einhängen. Ich gelobte Besserung und dachte, dass den Kindern das in acht von zehn Fällen vermutlich entgeht, mir nicht viel seltener. Dass er so viel Mühe hatte, tat mir natürlich leid, aber ich verkniff mir den Hinweis, dass das schon recht lange lose war und durchaus nichts mit unserem neuerdings Haus und Hof entdeckenden Kater zu tun hat, der, das war mir klar, so gesehen in schwieriger Konstellation unterwegs und erstverdächtig ist.  Ich erwähnte freundlich und möglichst nebenbei, dass ich beabsichtige, wenn der Kater draussen ist, das Fenster zum Raum mit den Fahrrädern und jetzt auch Mülltonnen auf zu lassen – zumindest bis wir das mit der Katzentreppe drauf haben.  Dann mache ich auch gerne die Türe zu. Ich ging in meinen Hofteil, die Damen schwiegen, und es lag der Anflug einer Spannung in der Luft - solche Vorkommnisse haben schon ganze Legionen von Haussegen in Schieflage gebracht. Gerade noch rechtzeitig fiel mir ein, dass ich ein Ass aus dem Ärmel schütteln konnte –  seiner Bitte, doch bitte das Fenster im Fahrradraum zu putzen, war ich erst in der Vorwoche nachgekommen. „Sag einer, wir gäben uns keine Mühe es nicht auch recht zu machen.“ Hervorragendes Timing. Das passte. Und weil sowohl der Nachbar als auch ich ausserdem beide geübt sind im Vermeiden von Konflikten, fanden wir einen Weg, wie das Fenster so gesichert werden kann, dass kein Luftzug es versehentlich zerdeppert. Seither steckt häufig ein ausrangiertes Buch im Rahmen. Das mit der Schneeschippe zusätzlich ist mir zu umständlich und auch zu ungeschickt, aber erstmal hab ich es so hingenommen und beflissen genickt. Wir haben einen Weg. Das ist ein Anfang.

Puh. Das war knapp.

Danach getrauten sich auch die Damen zu reden.

Die eine ist die Grande Dame des Blocks. Sie hat über dem Teil meines Hofnachbarn - ich muss also rübergehen um sie direkt zu sehen - einen kleinen Märchengarten geschaffen. Ich könnte, wenn ich ein geübter Weitspucker wäre, rüberspucken zum anderen Ende, so klein ist er. Aber so oft ich darauf blicke, so oft entdecke ich etwas neues Zauberhaftes darin.

Ich erzählte der Grande Dame, die Katzenliebhaberin ist – eine jüngst verstorbene Katze hat eine sehr hübsche Gedenkstätte im Märchengarten  - wie der Kater zu uns kam, und dass das eigentlich alles ganz anders geplant war. Sie kennt sich aus; „kommt Zeit, kommt Rat“, sagt sie. So sehe ich das auch. Mein Hofnachbar nickte freundlich dazu. Alles gut.

Auf der anderen Seite, direkt über meinem Teil, saß die alleinstehende Frau vom übernächsten Haus - das direkt angrenzende hat keinen Zugang zum Hof - unter ihrem  Sonnenschirm. Sie wohnt wie wir balkonlos unterm Dach und hat etliche Treppen zu steigen. Und weil den Hof ausserdem noch andere ihres Hauses nutzen, begnügt sie sich mit den eineinhalb Quadratmetern für Tisch, Stuhl und Schirm. Sie ist es auch, die das Blumenrabattstück am gegenüberliegenden Kopfende pflegt und nach und nach bepflanzt. Sie bekommt dafür hin und wieder Setzlinge von der Dame mit dem Märchengarten.

Ich legte mich auf die Schaukel und genoß das Bad in der Sonne  bis die mir zu kräftig auf der Haut brannte. Sonnencreme! Unbedingt und dringend. Die Frau unterm Sonnenschirm ist hitzempfindlich, was ein großes Pech ist für sie, weil sie a) einen hitzeträchtigen Job hat und b) ihre Wohnung nur Dachfenster hat, weshalb sie im Sommer bisweilen tags wie nachts schmort darin. Wir redeten über Sonnenschutz, ich mahnte den Erdgeschoßnachbarn, der schattenlos brutzelte, ebenfalls was aufzutragen und ging Sonnencreme holen. Als ich wieder unten war, hatte die Nachbarin von zwei Häuser weiter ihren kleinen Sonnenschirm so verrückt, so dass auch meine Schaukel einen Teil Schatten hatte. Wie nett! Ich freute mich sehr und bedankte mich wortreich.

Ich liebe  ihren rheinischen Akzent, der die harten Konsonanten verschluckt und so zärtlich dahinplätschert. (Dass die Loreley ausgerechnet am Rhein saß, wundert mich gar nicht). Ihre Sprache fließt dahin wie ein breiter gemächlicher Strom, und wenn ich sie höre, fühle ich mich ein bisschen wie am Wasser.

Dann saß jeder in seiner Parzelle. Die Grand Dame gärtnerte, die unterm Sonnenschirm las, der Hofnachbar brutzelte, ich schaukelte. Stille in der Stadt. Selbst die Vögel schwiegen. Kein Auto fuhr irgendwohin. Alles, so schien es, saß wortlos bei sich zuhause und lies die Lage auf sich wirken.

Corona.  Die Welt im Griff einer Seuche.

„Kennen Sie dies Lied - ´kein Schwein ruft mich an?´“, fragte die Grande Dame in die Stille hinein. So was kann sie, die sonst so distinguiert ist, dann doch auch. Ich glaube, sie fragte meinen Erdgeschoßnachbarn, der Einzige, mit dem sie umstandslos Sichtkontakt hat, und der stimmte zu und wiegelte ab, in der ihm anhaftenden Mischung von Verständnis und Abgeklärtheit, „sie haben halt alle erst abends Zeit“. Ich hoffe sehr, es rief dann abends jemand an.

Wieder langes Schweigen. Ich holte zwei Radler aus dem Keller und bot dem Nachbarn eins an; wir stießen mit ausgestreckten Armen an; zusammengerechnet waren das bestimmt eineinhalb Meter! Musste sein. Schon wegen der reparierten Fliegengittertür und dem Kater und der  häuslichen Harmonie. Die Sonne zog ihre Bahn und kam tiefer. Die beiden Nachbarinnen tauschten Pflanzen und Zeitschriften. Und irgendwann ein Gespräch über Corona. Über social-distancing und das Einkaufen, das sich neuerdings anfühlt wie Spießrutenlaufen, über Klopapier und Hefe, über Verwandtenbesuche, die man jetzt nicht mehr macht, über die  freie Wochenenden deshalb und Zeit für zusätzliche Schichten oder  ganz entgegengesetzt über Kurzarbeit.

Dass Klopapier so begehrt ist, verstand niemand in der Runde. Man stand an Zaun und Tür, Distanz wahrend und doch beisammen. Mein Hofnachbar wusste, dass die Hefe deshalb so knapp sei, weil manche ganze Pakete mitnähmen, nicht einzelne Würfel, sondern die ganze Stiege, was ich unglaublich fand. Wer braucht denn sooo viel Hefe? Die wird doch bloß schlecht. (Doch. Ich glaub´s. Diesen Irrsinn gibt´s. Leider. Mittlerweile weiß ich zum Glück ein Rezept zum selbst Ansetzen und eines, wie man einen Würfel so streckt, dass er vier ergibt. Aber an diesem Tag machte ich mir noch einen Kopf um unser Brot).  Auch die Nachbarin bäckt gerne, und wir vereinbarten gemeinsam Ausschau zu halten und der andern mitzubringen. Sie arbeitet jetzt mehr wochenends, weil sie eh nicht zur Mutter kann. Der Nachbar aus dem Erdgeschoß sieht dagegen ruhigen Zeiten entgegen. Seine Firma hat Kurzarbeit angemeldet, aber komischerweise arbeiten manche dort normal weiter, während andere ganz daheim bleiben. Ich kenne die Resignation in seiner Stimme. Er hat mir schon öfter Begebenheiten aus seinem Arbeitsalltag erzählt, die ich gruslig finde. Die Arbeitgeber wechseln, die Details sind andere, aber jedes Mal dachte ich „weshalb soll ein Mensch solch einen Job machen?“. Manche Jobs sind halt kacke. So wie es manche Produkte auch sind; viele sind den Rohstoff nicht wert aus dem sie sind, und die Welt wäre besser dran, sie einfach nicht zu produzieren. Immerhin – diesmal scheint er die Untätigkeit anders annehmen zu können. Höhere Gewalt hat auch was Tröstliches.

Wenn man ein bisschen von dem  ´Weniger´ mitnehmen könnte in die Nach-Corona-Zeit, das wäre klasse. Und auch das Kultivieren des Daheimseins und Pflegens guter Nachbarschaft, (einer, die sich aufeinander aufpasst, nicht, sich gegenseitig bewacht!), das wäre auch erhaltenswert.

Wir bleiben daheim, in Haus und Hof, und das ist gut so. 

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