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Mobilität der Zukunft - So könnte die gemeinsame Wende im Individualverkehr gelingen

Podiumsdiskussion des BVMW mit Verkehrsminister Winfried Hermann
Diskussion zur Zukunft der Mobilität.
Katrin Plewka (Moderation), Winfried Hermann (Verkehrsminister BaWü), Andreas Jung (verdeckt, MdB CDU), Ingo Engel (Vorstand Südstern-Bölle)

Das Thema Mobilität ist nicht erst seit der deutlichen Preissteigerung an den Tankstellen ein großes Thema. Die Kandidaten zur Wahl zum Oberbürgermeister in Rottweil, die neue Initiative "Rottweil neu denken" und Klimaaktivisten messen diesem Thema höchste Priorität bei. So macht sich auch der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft Gedanken, wie die notwendige Mobilitätswende vor allem gemeinsam gelingen kann und lud über 100 Mittelständler ein, mit dem Baden-Württembergischen Verkehrsminister Winfried Hermann, Andreas Jung (MdB CDU) und Ingo Engel vom Vorstand der Südstern-Bölle AG zu diskutieren.

Verkehrsminister Hermann macht deutlich, dass er in der Generation Auto aufgewachsen sei und dass das Auto mit 1,4 Milliarden Stück weltweit neben dem Smartphone das erfolgreichste Produkt ist. Es stehe für Freiheit und biete neue Lebensmöglichkeiten. Doch in den letzten Jahrzehnten wurde deutlich, dass das Auto auch Probleme bereite: Hoher Ressourcenverbrauch, verstopfte Städte, Luftverschmutzung und negativer Einfluß auf das Klima. Ein Viertel aller Treibhausgase würde der Automobilverkehr verursachen. Um dem entgegenzuwirken, müsse jedes 2. Auto klimaneutral fahren, jede 2. Tonne klimaneutral transportiert werden. Der ÖPNV soll - so die Planungen des Landesministeriums - bis 2030 doppelt so viele Fahrgäste aufnehmen und so gleichzeitig die Anzahl der Fahrzeuge reduzieren.

Was der Antrieb der Zukunft wird, könne derzeit keiner sicher sagen, so Winfried Hermann. Dieses sei auch abhängig von den notwendigen Rohstoffen für Batterien. Synthethische Kraftstoffe seien sehr umstritten, da diese zuviel Energie zur Herstellung benötigen. "Doch lieber synthetische Kraftstoffe statt Mineralöle", da heute gekaufte Modelle auch noch in 15 Jahren gefahren würden. 
Nicht jede Antriebstechnologie sei für jede Anwendung geeignet, weshalb bei der Entwicklung mehrere Wege beschritten werden müssen. So auch im Flugverkehr, wo synthetisches Cerosin wohl eher Einzug halten würden als batteriebetriebene Flugzeuge.
Die Technologie der Fahrzeuge sei jedoch nur ein Teil einer Antriebswende. Moderne Mobilität sei multimodal. Es wäre zu wenig, zu denken, man müsse jetzt Elektroauto fahren.
Sehen Sie hierzu auch unserem Beitrag: "Mobilität der Zukunft: Das Elektroauto ist nicht die Lösung.", welcher auf die weiteren Faktoren genauer eingeht.

Die Ziele müssten gemeinsam (Politik, Industrie und Gesellschaft) erreicht werden und sind vor allem ein gesellschaftspolitisches Thema, mahnte Ingo Engel und berichtete von seiner berufliche Zeit in der Lausitz, die gezeigt habe, dass der Wohlstandsverlust die Menschen dort latent unzufrieden gemacht habe und rechtspopulistische Parteien stärkte. Die Lausitz hatte durch den Ausstieg bei der Kohlebergbau ihren Wohlstand verloren. 
Nicht nur die Autos, auch die Mobilität an sich werde immer teurer und dürfe kein Luxus für Wenige werden. Die Mobilitätskonzepte der Zukunft dürfen nicht zum Verlust des Wohlstandes führen.

"Der Wohlstand wird nicht mit dem Festhalten an alter Technologie bewahrt", ermahnte hierzu ein Gast aus dem Publikum.

Von 60.000 auf 1 Million

Eine der großen Herausforderungen sehen die Teilnehmer im Ausbau der Ladeinfrastruktur.
Die Angst, sein Ziel aufgrund geringer Reichweite oder fehlenden Ladesäulen nicht zu erreichen, sorgt bei Autofahrern für Zweifel, auf eine E-Auto umzusteigen. Derzeit stehen bundesweit 60.000 Ladesäulen bereit, mindestens 1 Million sollen es bis 2030 werden. Allein nach Singen - dem Ort der Veranstaltung - kommen täglich etwa 16.000 Pendler. Das sei eine Herausforderung für die Infrastruktur der Ladesäulen und des ÖPNV. Es sei, so Winfried Hermann, nicht Aufgabe des Staates, die Infrastruktur auszuweiten und verwies auf das Konzept von Tesla, mit dem Bau der Fahrzeuge gleichzeitig eigene Strukturen zu schaffen. Für lange Strecken empfahl er, die Bahn zu nutzen.

So könnte es 2030 mit der Mobilitätswende aussehen

Winfried Hermann sehe deutlich mehr Fußgänger in den Innenstädten, die Autos in Tiefgaragen.
Bundesminister Jung wünsche sich zur Automeile in Singen eine Fahrradmeile in Form eines Radschnellweges. Das Fahrrad müsse als Verkehrsmittel besser gefördert werden. 

Für den Südstern-Vorstand Engel sei entscheidend, was der Kunde will. Man könne viel mit Fahrrad und ÖPNV erreichen. Auch mache es keinen Sinn, zu bestimmten Zeiten (mit hohen Verkehrsaufkommen) mit dem Auto zu reisen. Im Alltag, in dem die Zeit knapp ist, käme es jedoch auf kurze Fahrzeiten und Effizienz an. Der ÖPNV könne dazugewinnen, wenn dieser effizienter werde. Das Auto werde aus seiner Sicht nicht an Bedeutung verlieren. Er glaubt, dass sich das Elektroauto auf dem Land sogar eher durchsetzt als in den Städten, da eigene Photovoltaik-Anlagen vorhanden sind und die Menschen dort oft nicht auf ÖPNV ausweichen können. Der Verbrenner dürfe bei der ganzen Diskussion nicht verteufelt werden. Die CO2-Bilanz neuer Fahrzeuge habe sich deutlich verbessert. Die Frage muss daher lauten: "Wie können wir das eingesetzte Geld ideologiefrei zur CO2-Reduzierung (68 Millionen Tonnen pro Jahr) nutzen?"

Staatliche Anreize anpassen

Doch für den Umstieg auf E-Autos - so waren sich die Diskussionsteilnehmer einig - sei für den Kunden Transparenz und Zuverlässigkeit bei den Kaufprämien notwendig. Diese muss sich auf den Bestellzeitpunkt statt Lieferzeitpunkt beziehen, da die Lieferzeiten für Neufahrzeuge aufgrund der Lieferschwierigkeiten von Komponenten aktuell ein Jahr betragen. Kunden würden ihre Kaufentscheidung zurückhalten, da nicht sicher ist, ob diese von der Förderung profitieren.
Ab 2023 werden Hybride (Verbrenner mit Stromantrieb) nicht mehr staatlich gefördert, obgleich diese einen Umstieg bei möglichen Langstrecken und gleichzeitig klimaneutralen Betrieb in den Innenstädten erlauben. Hier wurde in der Diskussion eine mögliche Steuererleichterung bei nachgewiesener Nutzung der E-Variante - eine Art Kilometer-Pauschale - ins Spiel gebracht. 

Die Kaufprämie sei zusammen mit der Steuerfreistellung und Energiefreistellung ein wichtiger Faktor, die Verbraucher zum E-Auto zu bewegen, so der Verkehrsminister. Doch so günstig werde es nicht mehr lange bleiben. 
Neue EU-Verordnungen (u.a. die Euro-7-Norm), die hohen Mineralölpreise und der Technologiefortschritt würden das Tempo bei der Mobilitätswende hinsichtlich der Antriebstechnologie beschleunigen. Dabei setzt er auch auf behördliche Vorgaben:
Taxen sollten komplett auf E-Mobilität umgestellt werden, Neukonzessionen dürfe es nur für E-Fahrzeuge geben. Öffentliche Ausschreibungen zum Fuhrpark und Busbetrieb sollten mit Blick auf die E-Mobilität durch Vorgaben geregelt werden. 

Der Verbraucher entscheide. Das E-Auto müsse praktikabel sein. Müsse er häufig laden oder wegen der Ladesäulen gar Umwege fahren? Es bestehe noch die Angst, dass das Auto irgendwo stehen bleibe. Eine psychologische Hemmschwelle müsse überwunden werden. "Wer es ausprobiert, wird überzeugt sein", ist sich Ingo Jung sicher. Im Zweifel sei ein kostenfreier Umtausch für Urlaubsreisen sinnvoll. Ingo Engel schob ein, dass dieses mit aktuell 100 Mietfahrzeugen "unser Carsharing" sei, auch mit der Möglichkeit, einfach mal ein E-Auto zu testen. Hinsichtlich der finanziellen Förderung stellte er heraus, dass E-Wagen gegenüber Verbrenner 10.000 Euro teurer seien und so knapp zweitausend Euro mehr Mehrwertsteuer in die Staatskasse fließen.

Bei der Bafa seien im letzten Monat 50.000 Anträge zur Förderung von E-Autos (inkl. Hybrid) eingegangen. Das wären umgerechnet 600.000 Stück pro Jahr, die Hälfte für reine E-Motoren. In 10 Jahren würden so lediglich 3 Millionen Neufahrzeuge mit E-Antrieb zugelassen. Das wäre weit von den geplanten 15 Millionen entfernt.

Wenn es nach den Willen von Winfried Hermann geht, sollten bevorzugt die Leute eine Förderung bekommen, die es auch benötigen, auch für das Fahrrad. Der Staat habe bereits viel Geld zur Rettung der Betriebe während Corona und in der Energiewirtschaft ausgegeben, doch der Staat könne nicht alles übernehmen und den "Gutsituierten noch den Hintern pämpern". 

Nur mit erneuerbarer Energie kann das E-Auto klimaneutral sein

Nicht zu vergessen sei, dass ein klimaneutrales Auto und vor allem auch die Umwelt mehr Ökostrom benötigt. Derzeit sei eine Steigerung der Windkraft um das dreifache, beim Solarstrom um das zweifache notwendig. Die Gewinnung von Energie nimmt stetig zu, doch nicht in dem Maße, wie nötig. Die Preise für Strom sind zudem auf einem Rekordlevel. 

Andreas Jung stellt klar: Kritische Fragen zur E-Mobilität müssen offen angesprochen werden. Die Abhängigkeit von bestimmten Rohstoffen, die Rohstoffgewinnung. Auch das Recycling müsse besser werden. 
Laut Winfried Hermann gehöre daher auch eine Zertifizierung der Lieferketten und vor allem der Zuwachs erneuerbarer Energien dazu.

Vorbild Deutschland

Andreas Jung verwies auf die Bedeutung und Verantwortung des Standortes Deutschland. Zwar erfolgt in diesem Land nur 2% des gesamten CO2-Ausstoßes weltweit, allerdings bei einem Bevölkerungsanteil von gerade einmal 1%.
"Andere aufstrebende Nationen würden auf uns schauen. Wir müssen beweisen, dass der Erhalt des Wohlstands auch mit einer Mobilitätswende möglich ist".
Einer Technologieführerschaft in diesem Bereich biete zudem großes Potential für die deutsche Wirtschaft.
"Die Aufgabe der Politik ist nicht", so führt Jung weiter, "die Technologie vorzugeben, sondern die Rahmenbedingungen zu schaffen." Es müsse breit in die Antriebstechnologien investiert werden, nicht bloß in die E-Mobilität. Letztendlich entscheide der globale Markt. 

Die Mittelstandsunternehmen, die noch auf die Verbrennertechnologie spezialisiert sind, müssen nicht nur neue Geschäftsfelder entwickeln sondern auch ihre Mitarbeiter neu qualifizieren. Dies müsse unterstützt werden, so Winfried Hermann. 
Er verwies dabei auch auf den vom Land Baden-Württemberg beschlossene 10-Punkte-Plan, hier nachzulesen. Zudem sei eine zweite Revolution notwendig: Die Digitalisierung der Automobilität.
Das Konzept des Landes, leere Kassen des ÖPNV in den jeweiligen Kommunen durch eine pauschalen Bürgerabgabe (10 Euro pro Monat von jedem Bürger) unter dem Arbeitstitel "Mobilitätspass" zu decken, fand im Kreise der Diskussion weniger Anklang, zumal erst einmal diskutiert werden müsse, wie die Gelder konkret eingesetzt werden sollen. Man hat im Verkehrsministerium jedoch die Hoffnung, dass Bürger den ÖPNV häufiger nutzen, wenn sie schon dafür zahlen müssten.

Die Gäubahn war auch Thema bei dieser Podiumsdiskussion, zumal Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler zusammen mit seinen Kollegen in einem offenen Brief (hier auf Rottweil inside) Kritik zu den Planungen äußerte und anwesend war. Doch dazu gibt es später in einer Zusammenfassung den aktuellen Stand zur Gäubahn.

Letztendlich wird der entscheidende Erfolgsfaktor zur Mobilitätswende sein, die Menschen mitzunehmen.
 

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