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"Wer es nicht verstand, gehörte einfach nicht dazu"

Bildband und Comicheft über das Leben von Tobias Kammerer

Eigentlich ist man mit 55 Jahren noch etwas jung, um seine Memoiren zu schreiben. Künstler Tobias Kammerer hat es dennoch getan, und das gleich in doppelter Version: Mit einem umfangreichen Bildband und einem kleinen, bunten Comic. Und beides ist absolut lesens- und sehenswert. Vor allem der 670 Seiten starke Bildband hat es in sich. Denn Kammerer hat nicht nur viel erlebt, sondern auch sehr viel geschaffen.

Früh hat er den Pinsel in der Hand – kein Wunder, wuchs er doch in der fünften Generation einer Malerfamilie auf. Früh darf er für den Vater Farben mischen und früh, sehr früh, schickt dieser den Bub in die Fremde, als 14-Jähriger beginnt Tobias Kammerer seine Malerlehre in Wien. Keine einfache Zeit für den Jugendlichen, Heimweh und fehlende Geborgenheit prägen die Zeit. Aber auch beeindruckende Erfahrungen, befindet sich die Malerschule doch in einem Barockschloss, in dem er als einziger Schüler ein Turmzimmer als Atelier nutzen darf.

Im Bildband schildert Kammerer ausführlich, wie sich seine Kunst entwickelte. Wie er zunächst das Elternhaus bemalte, dann ein Weinlokal in Rottenburg, und das unter so viel Zeitdruck, dass er dem heiligen Mauritius versehentlich sechs Finger verpasste. Die Idee, Aquarell-ähnlich ganze Häuser zu bemalen, stieß bei seinen Lehrern auf völliges Unverständnis, Kammerer tat es dennoch. Und sorgte damit für den vermutlich kuriosesten Kunstkrimi Rottweils: 1991 holte ihn die Polizei vom Gerüst an der Feldbergstraße, das Bauamt verbot ihm, die Fassade fertig zu bemalen. Am Ende durfte er doch, und die Diskussion über seine Kunst beschäftigte nicht nur die Stadt, sondern zog weite Kreise.

Die nach dem verheerenden Brand wiederaufgebaute Kirche in Neukirch war die erste, die er ausmalen durfte, es folgten viele weitere, in ganz Europa bis nach Kiew und Hongkong. Inspiriert hat Tobias Kammerer die Zusammenarbeit mit Arik Brauer und Friedensreich Hundertwasser in Wien. Die perfekte Verschmelzung von Architektur und Malerei faszinierte den jungen Künstler und ließ ihn nie mehr los. In einer Zeit, in der Purismus angesagt war, hatte er damit keinen leichten Stand, auch und vor allem nicht in der Kunststadt Rottweil. Eine Zeit der „coolen“ Kunst, wie er es beschreibt. „Über Sinn und Inhalt verlor man kein Wort, wer es nicht verstand, gehörte einfach nicht dazu.“ Er setzte geraden Linien, nacktem Beton, rostigem oder glänzendem Edel-Stahl Farbe entgegen und tut es heute noch. Auch nach dem schweren Unfall 2011, der ihn zunächst in den Rollstuhl zwang, gab er nicht auf und steht heute wieder auf Gerüsten, um Kirchen und Gebetsräume auszumalen.

Mehr über sein Leben, seine Auszeichnungen, aber auch die Tiefschläge, die er als junger Mann einstecken musste, findet man in Comicheft. Der Bildband konzentriert sich auf die in den letzten Jahren entstandenen Werke, hier finden sich aber auch Texte von Kunstkritikern und Künstlern wie Sieger Köder über die Arbeit von Kammerer. Beides ist überaus empfehlenswerte Lektüre nicht nur für Fans.

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