Weltweit läuft dieses gigantische Experiment, das von der Hypothese ausgeht, grenzenloses Wachstum sei auf einem begrenzten Planeten möglich. Experimente sind, wissenschaftstheoretisch gesprochen, dazu da, Hypothesen zu falsifizieren oder zu verifizieren, also in diesem Fall nachzuweisen, ob grenzenloses Wachstum möglich (verifizieren) oder unmöglich (falsifizieren) ist. Eine verantwortliche Versuchsleitung hätte schon vor längerer Zeit gesagt: „Super, wie können das Experiment jetzt abbrechen, es ist falsifiziert.“ Aber obwohl Dennis Meadows und seine Kollegen schon 1972 mit den „Grenzen des Wachstums“ eine überzeugende Falsifizierung vorgelegt haben, wir das Experiment fortgeführt, jedes Jahr mit größerer Intensität.
Dieser Abschnitt stammt aus dem neuen Buch von Harald Welzer, Alles könnte anders sein. Wieso ich daraus heute zitieren? Weil am 22. August Earth Overshoot Day, also Erdüberlastungstag ist. Also der Tag, an dem die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen das Angebotund die Kapazität der Erde zur Reproduktion dieser Ressourcen 2020 übersteigt. Seit 1971 übersteigt der weltweite jährliche Verbrauch die global zur Verfügung stehenden Ressourcen. Die letzten Jahre war der Erdüberlastungstag immer Ende Juli oder Anfang August. Dieses Jahr reichen die Ressourcen rechnerisch länger, da durch die Corona Pandemie ab Februar 2020 und der damit einhergehenden Wirtschafts-, Flugverkehrs-, Tourismuseinbrüche weniger Ressourcen verbraucht wurden.
Was würde sich in unserer Gesellschaft ändern, wenn wir akzeptieren würden, dass es planetare Grenzen gibt? Wenn wir die Aussage „Jeder Tag Wachstum heute bedeutet weniger Ressourcen morgen (Harald Welzer, selbst denken, Seite 134) ernst nähmen? Wie müsste sich die produzierende Industrie, die Tourismusbranche, Dienstleister umorganisieren, wie würde unser Konsum aussehen, wie würden wir essen, reisen, arbeiten, ja, leben?
Ich habe die vergangenen Tage einen Keller ausgeräumt. Einen Keller, der von jemandem eingerichtet und benutzt wurde, der im Jahr 1924 geboren ist. Der Inhalt des Kellers hatte eine Aussage: Ich könnte es ja nochmal brauchen.
Vielleicht müssen wir zu dieser Haltung zurück kommen. Mir fällt das schwer. Ich bin eine „Wegwerferin“. Mich belasten volle Schränke, Regale, Schubladen. Ich habe es gern strukturiert, übersichtlich, transparent. Und ich bin es gewöhnt jederzeit alles kaufen zu können was ich brauche.
Mein Versuch des Konsumverzichts kommt manchmal an seine Grenzen. Oder ich kenne noch nicht genug konkrete Möglichkeiten des Teilens. Wie auch immer, der Erdüberlastungstag rüttelt mich dieses Jahr auf.
Und das ist gut so.
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