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Nathan der Weise

Magische Orte
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Nach vielen vielen Jahren mal wieder im Zimmertheater gewesen. (Von dem Sommerstück im Bockshof mal abgesehen, das zwar auch Zimmertheater ist, aber trotzdem irgendwie anders). Hätte ich schon früher machen sollen. Ich habe viel verpasst.

(Theater sind schöne Orte. Ich mag ja auch das Hinterzimmertheater im Adler in Hausen gerne, wobei dies Gefallen eventuell mitunter familiärer Voreingenommenheit geschuldet ist.  Hin wie her – Theater sind Orte wie eine Reise. Und ob im Zimmer, Hinterzimmer, am Ring, im Turm, in der Tonne oder im Unterseeboot – es sind magische Orte. Dies war das Wort, das eine der Bewohnerinnen meiner Station im psychiatrischen Pflegeheim heute verwendete, und ich fand es sehr passend. Im Kino fühle ich mich nicht so als Teil der Geschichte. Ein Theater fühlt sich an wie eine Parallelwelt, die der eigenen zwar eng verbunden ist, aber dennoch für sich selbst existiert. Und streckenweise ist es wie im Spiegelkabinett, ich begegne immer wieder dem eigenen Spiegelbild, manchmal ist es verzerrt, und nicht immer gefällt es mir. Aber immer erkenne ich mich selbst und staune.)

´Nathan der Weise´. Die Reise führte ins zwölfte Jahrhundert, in die Zeit der Kreuzzüge, als alle drei Weltreligionen um Vorherrschaft und Alleingültigkeit stritten und wo zwei sich in einer Katastrophe begegneten und erst nicht, dann doch, dann wieder nicht, dann doch zusammenkommen wollten. Sie waren nicht derselben Religion angehörig, und sie wussten beide nicht, woher sie kamen. Stoff für Tragödien. Einer war reich, ein Anderer brauchte Geld. Es ging um Macht und Deutungshoheit, und Intrigen wurden gesponnen, der Sultan sollte ermordet werden. Und im Herzen brave Leute fanden sich in Fallen und Zwickmühlen wieder, die Köpfe zu kosten drohten. Ein Krimi ist leicht spannend finden – Nathan der Weise ist es auch.

Am Ende siegte die Vernunft. Die Liebenden bekamen sich, aber auf gänzlich andere Weise als erwartet. Niemand starb, und die Religionen waren vereint.

Ach, gäbe es nur mehr solche Nathans, und Mächtige, die ihnen zuhören.

Am Ende ist 's alles einerlei - Christ, Moslem, Jude - es ist ein bisschen wie in diesen Clips, die im Internet kursieren, in denen die DNA sehr unterschiedlicher Menschen auf ihre jeweilige Abstammung untersucht werden, und herauskommt, dass der Iri halb Grieche ist, der Deutsche teils Türke, der Däne hat arabische Wurzeln, der Engländer wiederum deutsche … es ist ganz egal, was einer zu sein glaubt. Und auch wie er glaubt.  „Man tut das Richtige, weil es richtig ist, nicht, weil man eine Belohnung dafür bekommt.“ So oder so ähnlich in diesem Stück gefallen. Oder war das in der Lesung des Stadtschreibers am Abend zuvor im Schwarzen Lamm?  (War auch klasse!). Egal – hier wie da ging es um Aufklärung und um Humanismus. Die Vernunft als oberster Wächter.  Man tut das Richtige, (von dem man freilich nicht sicher weiß, ob es das ist), weil es nach bestem Wissen und Gewissen für alle Beteiligten annehmbar ist und gute Wege öffnet. Nicht, weil ein Gott oder ein irdischer Vertreter einen Vorteil daraus verspricht. Man weiß nicht immer alles, was man hätte wissen müssen für eine wichtige Entscheidung. Auch mit Vernunft passiert mal Mist. Aber wenigstens wird´s nicht bösartig.

Einer, dem ich mal nahestand, der wiederum der Theaterwelt nahesteht, reagierte - zumindest in meiner Erinnerung ist das so - bisweilen leicht brüskiert, wenn beim Schauspieler das Auswendigkönnen des Textvolumens gelobt wurde. „Das ist das Handwerk, nicht die Kunst.“ Mag sein. Aber trotzdem – in "Nathan der Weise" haben alle beachtlich viel Text. Das drauf zu haben IST eine Leistung, vor der man Respekt haben darf. Lessing verteilte ihn auf mehr Darsteller, im Zimmertheater spielen nicht mehr als drei. (Den Musiker ausgenommen. Sowieso - die Musik – ein Knüller für sich!). Und die schlüpfen in ein anderes Hemd und in eine andere Rolle, auf offener Bühne, zwischen zwei Sätzen - und die Szene ist eine andere und das Spiel genauso überzeugend. Verblüffend. Großartig. Es waren mir nicht immer alle in allen Rollen und jedem Moment sympathisch, das wäre vermutlich auch komisch gewesen. Aber nicht nur eine, sondern zwei oder drei Figuren darzustellen in ihrer ganzen Ambivalenz – Chapeau!

So wenig wie es braucht, um von einer Rolle in die nächste zu schlüpfen, so wenig braucht das Bühnenbild, dessen Schlichtheit mir gefiel. Ein Tisch, ein paar Stühle, ein paar kleine Requisiten, an den Wänden die Wechselgewänder aufgehängt – das genügt. Und trotzdem spielt das Stück an verschiedenen Orten und man folgt ganz mühelos. Alles ist ständig in Bewegung und vor meinem inneren Auge entstand ein Sultanspalast, eine Villa, eine ganze Stadt, der Hohe Rat.

Da freilich musste ich schlucken. Der Tempelherr trat vor den Höchsten Rat und suchte um eben dies – um Rat. Er trat an den Rand der Bühne vors Publikum, unter eine Straße von Leuchtröhren, wie in einem langen Tunnel, der Fluchtpunkt war weitweit hinten. Und ich war plötzlich Teil des Hohen Rats – und froh, am Rand zu sitzen. Macht über einen anderen ist mir, glaube ich, nicht wirklich angenehm. Er brachte sein Anliegen vor, die innere Not war groß, aber wie konnte es auch anders sein – statt Rat zu erhalten, musste er das Urteil fürchten. Der Rat war Gericht.

Gut, wenn einer aufs eigene Gewissen hört.

So eine kleine Stadt, und so ein großes Theater. Ich war mir dessen nicht bewusst.

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