Gute Momente sammeln

Nach der Wahl
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Ich bin noch immer befasst mit meiner Übung, gute Momente zu sammeln, jeden Tag mindestens einen festzuhalten.  Es gibt Tage, da gelingt das ganz locker. Wenn ich morgens aufwache, und das Erste, das ich höre, ist „ich liebe dich“. Ist mir vergangene Woche passiert. Kann ein Tag besser beginnen? So eindeutig ist es freilich selten.

Neulich habe ich lange gegrübelt und wusste am Schluss wenigstens, was ich NICHT wollte - es ging um Zwischenmenschliches. Vielleicht gilt auch das als ´gut´. Schlecht und Gut liegt ja mitunter verblüffend nah beisammen. Mal wieder die Stadt von oben gesehen. Das war gut. Zum arabischen Essen eingeladen gewesen und im Gespräch auf Weltreise gegangen. Auch gut. In einer Situation ruhig und überlegt geblieben, in der ich schon aus der Haut gefahren bin. Super! Bin ich stolz drauf.

An anderen Tagen muss ich mich sehr anstrengen. An Tagen wie diesem heute zum Beispiel, wenn ich alleine aufwache und die komplette Trostlosigkeit des Daseins zuschlägt, mit Schneeregen im März, wo das Herz nach Frühling verlangt, und stattdessen eine Wettervorhersage die Sonne auf Tage hinaus hinter die Wolken verbannt. Im Radio geht’s um den Impfstopp mit Astrazeneca und um einen neuen Lockdown zu Ostern, während der alte noch gar nicht aufgehoben ist. Ich will nicht mehr. Blöder hätte das alles kaum laufen können. Ich nehme an, diese Thrombosen nach Impfungen sind die „seltenen Fälle“ der Nebenwirkungen, wie sie bei allen Impfungen vorkommen können. Es wird halt abgewogen zwischen Nutzen und Risiken, und das gesamtgesellschaftlich, nicht individuell. Als Herdentier kann ich dieser Logik folgen.  Als Individuum suche ich nach dem Silberstreif am Horizont.

Das Ländle ist im Glück, zumindest da, wo es grün gewählt hat. Die Grünen stärkste Kraft in Baden Württemberg. Schon ein Knüller eigentlich. In meiner Kindheit war der Ministerpräsident so unzweifelhaft und unumstößlich ´schwarz´ wie der Papst ein Weißer ist. So gesehen hat sich durchaus was getan. Und trotzdem braucht keiner allzu viel Veränderung zu fürchten. Viele halten das für einen Vorteil. (Ich nicht). Winfried Kretschmann sagte noch kurz vor der Wahl zu seiner Prioritätenliste „Klima Klima Klima!“. Aber ich könnte mir vorstellen, jetzt, danach klingt es eher „Wirtschaft, Klima, Wirtschaftsklima, Wirtschaft, Wirtschaft, Klima, Auto, Daimler Bosch und Porsche“. Immerhin - Grün ist besser als manch anderer Ausgang. Auf jeden Fall. Aber aufatmen tu ich erst, wenn Klimaschutz in einem Tempo betrieben wird wie das Beschließen von Coronabeschränkungen, spürbar beherzt und unter Inkaufnahme von unpopulären Entscheidungen.

Im Grunde tut die CDU mir gerade leid. Opposition oder Juniorpartner in einer Koalition mit den Grünen. Das ist bitter. Ich könnte mir vorstellen, da will mancher Gift und Galle kotzen. Und überhaupt - als wären sie schuld an Corona und allem und auch daran, dass es hier nicht geht wie in China, wo zur Not mit Gewalt dichtgemacht wird oder wie in Israel, wo ohne Federlesen im Vorbeigehen geimpft wird und man sich keinen Pfifferling um Datenschutz schert. Es war auch für Politiker ein brutales Jahr. Und jetzt noch eine Maskenaffäre. Das ist wie ein Eigentor im Endspiel, das den Sieg der anderen besiegelt. Das tut weh. Aber ey – selbst schuld. Es sind dieselben, die finden, es brauche weder wirksamen Korruptionsschutz, noch Transparenz in Nebeneinkünften, und schon gar keine Frauenquote. Es sind dieselben, die meinen, die Netzwerke, die man sich da gesponnen hat, genössen einen Schutz wie die Gorillas am Kilimanjaro. Nur im Schutz solcher Netzwerke wird so hemmungslos gemauschelt und sich bereichert.

Die Afd hat verloren. Das freut mich. Ich wüsste nicht, dass in den letzten 4 Jahres aus dieser Ecke irgendetwas gekommen wäre, das ich hätte gut finden können. Wer Respekt nur für sich selbst und seinesgleichen hat, darf keine Macht haben. Zum Weltfrauentag sagte Achim Nieder von der Afd „Weltfrauentag! Gute Idee! Man könnte zur Feier des Tages mal wieder in den Puff gehen!“ und Petr Bystron, ebenfalls Afd, fand „Es gibt Frauen, die sollten lieber an einer Stange tanzen als Politik zu machen“. Ich habe nichts gegen Prostitution und finde Stangentanz klasse; es ist die Geringschätzung, die in diesen Worten mitschwingt, die das so hinterhältig diskreditiert. Einer sagte “Jede Frau kann machen was sie will. Im Schnitt muss sie allerdings 2 Kinder bekommen. Das geht ohne Fulltime-Job leichter.“ Da fällt mir nichts mehr ein. F… dich selbst. Das am ehesten.

Da fällt mir der Tweet ein, den ich letzte Nacht las: „We are ruled by sociopaths and psychopaths because only their warped kind of strength has the ruthlessness required to suppress and enslave the billions of us used to feed their greed. We will never win against such adversaries if we play the rules created by them.”  

Mit der FDP befasse ich mich nicht groß. Neulich allerdings brachte sie mich zum Lachen. Ein FDP-Bundestagsabgeordneter forderte zur Stärkung der Demokratie ein Sabbatical, ein freies Jahr, auch für Bundestagsabgeordnete. Das sei mittlerweile in allen Bereichen üblich. (Ich kenne das nur von Lehrern). Er habe mal zwangsweise, weil die FDP aus dem Bundestag geflogen war, eine Legislaturperiode ´draussen´ verbracht und sehr davon profitiert. (Ich meine, sich mal nicht nur Wahl stellen, andere ranlassen, ginge auch. Da brauchts kein Sabbatjahr für. Egal.) Ich könnte mir das, wie er auch, „in allen Bereichen“ vorstellen. Bei KellnerInnen und Flaschnern, bei FriseurInnen und AltenpflegerInnen, bei KassiererInnen und Reinigungskräften…. So arbeitnehmerfreundlich hatte ich die FDP nicht gehalten. Aber vielleicht habe ich da auch was falsch verstanden. Ich denke oft, die leben auf einem anderen Planeten.

Die SPD tut mir ebenfalls leid. Das Image, das ihnen anhaftet, und das sie so leidenschaftlich kultivieren - der Ruhm der Arbeiterklasse, die verlässlich und stark das Land mit eigenen Händen schafft und umtreibt, die Opfer der Geknechteten und Unterdrückten, die Würdigung erfahren, die unverwüstliche Hoffnung auf Solidarität, Gemeinwohl und Freiheit des Einzelnen – man kann, man muss es lieben. Ich bin aufgewachsen unter Postern „Vorwärts“, „Solidarität“ und „Das Herz schlägt links“. Wo bei anderen der Bravostarschnitt hing, hing bei mir Helmut Schmidt. Bis ich Che Guevara cooler fand, den üblen Chauvi. Sie füllen das Image nicht recht aus und haben das kaum einmal wirklich glaub – und dauerhaft getan. Vielleicht liegt´s am Image.

Von der CDU hat keiner jemals wirklich verlangt, sie möge christlich regieren, und dass die CSU viel mit ´sozial´ zu tun hat, behauptet auch keiner ernsthaft. Wenn die Grünen nicht grün sind, gelten sie als realistisch. Nur die SPD, die wird am eigenen hehren Ideal festgemacht. Irgendwie ungerecht.

Meine Stimme taucht im Prozentekuchen mal wieder gar nicht auf. Egal. Ich weiß genügend Gründe zu wählen und das System im Prinzip hochzuhalten, aber auch jeweils genug, als ´herrschende Mehrheit´ lieber andere zu sehen. Meine Träume sind ohne Chance. Das weiß ich. Manchmal wähle ich einfach ein Thema, das ich im Tagesgeschäft der Politik zu wenig gewürdigt sehe. Das ist auch eine zählende Stimme, bringt der jeweiligen Kleinpartei ein paar Euro und hat so etwas handfest Gutes. Und ich kann mich freimütig über die Regierung aufregen.

Lockdown hin oder her. Ich will, dass alle, die wollen, geimpft werden können, überall auf der Welt. Und dass die Pharmariesen, die die Forschung gesponsert bekamen, die Patente freigeben so dass in großem Stil produziert werden kann.  Und ich will, dass die Geimpften sich frei bewegen dürfen. Und das hat nichts mit ´Privilegien´ zu tun. Die in den Heimen und die Alten, die seit einem Jahr quasi eingesperrt sind, die sollen sich wieder bewegen dürfen.

Heute mit einem solchen Heimbewohner einen Spaziergang gemacht, inklusive der Übung „Gute Momente sammeln“ und „schöne Sinneseindrücke“. Hat mich ans das Stück vom Zimmertheater erinnert „All das Schöne“. "Mit mir gehts zu Ende", hat er erst vor Kurzem gesagt. „Das tut es mit uns allen - irgendwann", sagte ich. „Keiner weiß wann. Bloß BIS es soweit ist, spricht nichts dagegen, es möglichst zu genießen." Schneeflocken im Gesicht. Vogelgezwitscher. Eine Lücke in den Wolken und ein kurzer Fetzen Blau. Eine heiße Suppe. Wir müssen da durch und wir sollten nicht daran verzweifeln. „Und wenn´s das Gänseblümchen am Wegrand ist, das tröstet“. Das hat die Andeutung eines Lächelns in sein Gesicht gebracht. Ein Lob dem Gänseblümchen.

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