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copyright Rottweil inside

Die Wochen und Tage sind zu kurz. Das ist das Pech der späten Mütter: die Kinder sind noch klein, die Eltern schon alt und teilweise und zunehmend gebrechlich, dazu der Job, die ganze Lebensgestaltung, der ganze Scheiß drumrum. Ab und zu habe ich nachts keine Ruhe zum Schlafen. Dann muss ich raus und mir einen Plan machen. Bisweilen ist der so ausgeklügelt und voll, dass ich am Ende selbst überrascht bin, wenn er aufging.

Ein Pflegebett ist noch keine Pflege, ein volles Glas ist noch nicht getrunken. Buchstaben erkennen ist nicht lesen-können, an sozialen Medien hängen nicht Kommunikationsfähigkeit. Und so geht’s fort. Es sind die Wege dahin, die Nerven kosten. Und wenn der Weg das Ziel sein soll, braucht´s eine klare Richtung, und also muss jeder Schritt überlegt sein.

Ich gönne mir wenigstens den Luxus und tauche ab. Die Krisen kriseln heuer ohne mich. Ich bin ein Wal in unruhiger See. Meine Lieben bleiben in Echolot-Rufweite und halten mit mir Kurs. Nur manchmal tauche ich auf, sammle eher gefühlte als wirklich reflektierte Eindrücke und staune, wie die Welt da oben aussieht und wie verrückt sie sich dreht.

Der alte Exkanzler Schröder war mit seiner jungen Gattin in Moskau. Ich habe ein Foto gesehen, auf dem sie - der Kreml im Hintergrund - andächtig betet - für die Vermittlungsversuche ihres Mannes oder für besser Wetter, keine Ahnung. Es sieht so andächtig aus.  Dabei muss wenigstens noch eine weitere Person mitanwesend gewesen sein, die, welche das Foto gemacht hat, und so andächtig stelle ich mir den Moment also gar nicht vor. Das erinnert mich an eine mir vor Jahren zugetragene Erzählung eines Journalisten, der mit Horst Seehofer auf Wahlkampftour in Bayern unterwegs gewesen war. Es sollte ein Foto gemacht werden, Seehofer in stiller Andacht in einer schlichten Kapelle. Der Tross rauscht an, drei Dutzend Journalisten, Wahlkampfmanager, Visagisten, uswusf. Seehofer nimmt Platz, faltet die Hände, guckt beseelt. „Das war nix. Nochmal!“ Also nochmal, ein Licht verrückt und die Nase frisch gepudert. Nochmal hinknien, nochmal Hände falten, stille Rührung ins Gesicht. Klick. Seehofer: „Hammers?“ Sie ham´s. Seehofer steht auf, der Tross packt ein und rauscht weiter. Besinnlichkeit kommt erst auf, als alle weg sind, auch Seehofer. Was soll das? Ein Auftauchen ist das jedenfalls kaum wert.

In Tübingen ist Palmers Verpackungssteuer gekippt. Das finde ich schade. Die Idee war gut. Und wenn er mich bisweilen nervte mit seinen nach zwar Scharfsinn aber auch Geltungssucht riechenden Provokationen – so prinzipiell, meine ich, braucht es solche Leute, die sich getrauen, den Gaul auch mal von hinten aufzuzäumen. Und er hat Recht, wenn er sagt, wenn die Gesetze so sind, dass eine Verpackungssteuer nicht geht, dann muss man die Gesetze ändern. 

Sprit- und Energiepreise sind hoch. No ja. Damit war zu rechnen. Wir haben die Heizung kleiner gestellt und ich spare an meinen Stehlampen.  Ob wegen Krieg oder Klima – macht Sinn hin wie her.

Auf Twitter viel Baerbock-bashing, zumindest in meiner „bubble“, in der ich mich nach wie vor fremd fühle, was mir aber egal ist. Mir ist ihre „feministische Aussenpolitik“  sehr willkommen. Diese maskuline Haudegen-Nummer hatten wir jetzt zur Genüge, und ich könnte mir vorstellen, von mehr Feministinnen in der Politik profitieren alle.

„Maskuline Haudegen“ ist ja sanft ausgedrückt für die komplett wahnsinnige Art, mit der Europa sich gerade konfrontiert sieht. Jessas. So tief kann ich niemals abtauchen, dass mich das nicht berührt. Die Bilder aus Butcha. Ein kurzes Auftauchen genügt nicht, und ich glaube, ein langes auch nicht – ich weiß nicht, wer in diesem Krieg was tut. Es spricht alles wohl mehr gegen Russland als gegen die Ukraine. Aber so viel Böses will ich niemandem unterstellen. Meine Fantasie gibt es nicht her, einen Plan hinter solch einem Töten zu vermuten. Ach scheiße. Am Wahrscheinlichsten erscheint mir, dass so ein Krieg das Schlechteste und Brutalste aus den sich Bekriegenden herausholt, und dass im Frust kein Halten mehr ist und so ein Krieg es eben auch leicht macht, allen je gelittenen Frust hineinzulegen. Aber herrje – um was für einen Sieg geht es dann? Was soll da gewinnen?

Abtauchen und Strecke machen und wieder auftauchen. Radio an. Nachrichten. Erst Krieg, dann Klima. Das IPCC mahnt, ohne drastische Einsparungen ist das 1,5 Grad-Ziel nicht zu erreichen. Die Wissenschaftler sind sich einig; es gibt ein paar taugliche Ansätze, aber auch Gegenteiliges, und die Anstrengungen reichen bei Weitem nicht. Es war zu lesen von „Systemwechsel“ – es müsse ein anderes Wirtschaften werden. In den nächsten paar Jahren müssten die Weichen gestellt werden, wenn der Planet im Wesentlichen so bleiben soll, wie wir ihn kennen. So die Meldung. WTF. Ich will sofort wieder runter, abtauchen und nie wieder hochkommen. Geht’s überhaupt noch krasser? Ja. es geht - es wird noch krasser kommen. Ich brauche keine zwei Gräten, um es mir auszurechnen.  Man kann die Zahlen anzweifeln, freilich. Das sind Rechnungen mit vielen Variablen. Aber der Klimawandel ist ja sicht-, mess -, und fühlbar. Vielleicht waren im Ergebnis Jahreszahlen schon anders als prognostiziert, Liter und Tonnenangaben, aber die Richtung der wissenschaftlichen Klimamodelle hat immer gestimmt. Und wenn Abweichungen hervorstachen, dann meist in die ungewünschte, schlimme Richtung.

Ich hab eine Scheiß-Angst. Und eine Scheiß-Wut. Und eine scheiß-dicke Haut. Ich weiß nicht, ob ich die so toll finde. Sie hilft mir auszuhalten. Aber eigentlich sollte uns das Aushalten-wollen vergehen. Ich verstehe die, die ihre Haut dünner sein lassen. Das ist auch okay. Was ist das hier – ein Trainingscamp? Gibts Medaillen für Survivalsportler?

„Drastische Einsparungen“ sind also gefragt. Und die FDP hängt sich auf am Tempolimit. Selbstverliebt und zeitvergessen. Und so daneben. Ein Tempolimit brächte nicht die Welt, aber es wäre ein Schritt. Sie wissen immer andere, scheinbar viel effektivere Mittel, welche, die ihr Klientel unberührt lassen. Dabei wäre längst Zeit alle Mittel gleichzeitig einzusetzen, es geht nicht um entweder ohne und hier ein bisschen, da ein bisschen. Die haben echt den Schuss nicht gehört.

In Rottweil geht es ums Parkhaus. Auch dies zu bauen wäre ziemlich zeitvergessen. Ich war bei der Visionswerkstatt.  So viele Stimmen und Anliegen. Ich will nächstes Mal wieder hin. Vielleicht bekomm ich sie dann sortiert. „Wer ich sei, wie ich mich denn so einbrächte ins bürgerliche Leben hier in der Stadt“, wurde ich gefragt. Uih. Wie beantwortet man so was? „Ich bin einfach so da.“ Das sagte ich eher leise. Eigentlich blieb ich die Antwort schuldig. War auch nicht schlimm. Bei so vielen Stimmen und Anliegen redet sofort wieder jemand. Und ich kann ungestört abtauchen.

Corona. Anscheinend muss man jetzt nicht mehr in Quarantäne, wenn man nicht tatsächlich erkrankt ist. Oder? Lauterbach wird für einen Kurswechsel gescholten. Aber ich verstehe nicht, was an einem Kurswechsel prinzipiell so schlecht sein soll. Immer Vollgas stur geradeaus ist ja wohl erst recht bescheuert. Ich habe keinen Überblick mehr über Inzidenzen und Regeln. Ich trage häufig Maske, häufig nicht. Im Bundestag geht es um die Impfpflicht. Ich bin noch immer dagegen, egal ab welchem Alter sie gelten soll. Ich will, dass man Krankenhäuser ausbaut, nicht schließt. Aber es zieht an mir vorüber, berührt mich nicht. Es geht mir dabei wie mit den Spritpreisen – ich fahre eh kaum Auto. Mir ist´s nicht egal, aber ich habe auch keine Zeit, jeden Sturm mitzutoben. Ich schwimme so durch, tauche ab und wieder auf. Wie´s passt.

Ich habe Urlaube gebucht. Zwei gleich. Als ob nichts wäre. In den Sommerferien, wenn es überall teuer ist und überall schön, bleiben wir vor der Haustüre und campen am Bodensee. Dafür soll es an Pfingsten nach Rom und an den Lido di Ostia gehen. Unterkünfte sind massenhaft und günstig zu bekommen, und ich dachte, mit dem Zug ginge es ebenso - und habe es etwas schleifen lassen. Und jetzt waren wir spät dran, irgendwie, und Stunden am Suchen und Buchen und hin und her überlegen. Ach. Nächstes Mal guck ich ZUERST nach dem Zug und DANN nach Ziel und Unterkunft. Und nächstes Mal reisen wir unter der Woche. Das ist jetzt teuer geworden und war voll kompliziert, und nach ein paar Stunden vor ICE und EC und NJ und Ziffern und Zahlen und immer-wieder-dasselbe-eingeben habe ich ein Ticket falsch gebucht, die Rückfahrt, und das, weil ich doch hatte sparen wollen, mit einem Sparticket, welches nicht umgebucht werden kann. Bis ich es gemerkt habe, war schon auf „Kaufen“ geklickt. Mist. Am andern Morgen zwischen Arzt – und diversen anderen Terminen bei der Hotline der ÖBB angerufen, völlig ab von der Rolle. „A geh“, seufzt die Frau ganz österreicherisch am andern Ende, „da hat man jetzt den gonzn Wohlstand. Und dann san die Leute so unkonzentriert; es is direkt zum si firchtn!“ So! Yep! So sieht´s aus! Es is direkt zum si firchtn. Geholfen hat sie trotzdem, sie und die Freundin, deren Kreditkarte ich nutzen durfte, weil es telefonisch ohne so was nicht geht. Das Ticket ist durch das ganze Manöver allerdings NOCH teurer geworden. So war das nicht gedacht. Da muss ich jetzt seehr tief in den Sparstrumpf langen. Ohje. Ich will mich trösten damit, dass wir fast 500 Kilo Kohlendioxid einsparen, verglichen mit dem Auto. Sagte die ÖBB-Seite. Das ist doch was.

Aber bis es soweit ist, dauert es noch. Und ich tauche wieder ab, bis auf Weiteres. Alles in allem weiß ich weder, wohin die Reise geht, noch gehen soll. Ich mache Strecke so gut ich´s verstehe und weiß eigentlich nur, wie ich mich fühlen Will.  „A geh.“  I will mi net firchtn. Wien wäre bestimmt auch mal klasse.  

Hinweis: Die in dieser Kolumne geäußerten Ansichten und Meinungen sind allein die des/der Autors/Autorin und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten unserer Redaktion wider. Wir übernehmen keine Verantwortung oder Haftung für den Inhalt dieser Kolumne.

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