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Mein Wort für 2024 : Nachhaltigkeit

Gärtnern fürs Gemüt
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Der Antrag für Aufnahme in den Kleingärtnerverein ist unterschrieben. Ich hoffe, der Opa denkt dran, ihn auch abzugeben. Er liegt schon eine ganze Weile bei ihm rum… . Das neue Jahr soll unterm Stern des Gärtnerns stehen. Mir ist nach mehr Nachhaltiger und nach Veränderung, und ich denke Gartenarbeit fasst beides zusammen und wird guttun.

Ich will die Dinge so angehen, dass sie bestehen können und zwar ohne jegliches sinnlose Verheizen. Ganz nach Kants kategorischen Imperativ „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Es geht mir viel zu viel viel zu schnell. Man müsste mal kollektiv runter vom Gas. Kommt ja keiner mehr mit. Erstmal Lage checken, durchatmen, in Ruhe überlegen. Mit diesem Wunsch bin ich nicht alleine, aber man soll ja bei sich selbst anfangen. Meditation kann ich nicht, und Sport ist es auch nicht wirklich. So will ich also unter die Kleingärtner, und das finde ich krass. Ich bin damit aufgewachsen, und das war eigentlich sehr nett, aber diese Art des Vereinslebens empfand ich stets und unzweifelhaft als Nummer der Eltern. Ich habe nie den Impuls verspürt, es ihnen da gleichzutun. Heute sehe ich im Schrebergarten das Gärtnern an sich und denke, das Vereinsleben, das hat sich bestimmt geändert. Bestimmt kann man sich hier und da einbringen, ohne dass der Verein gleich die ganze Sozialisation bestimmt. Ich will gärtnern gegen Tempo und Krisen, mein Quantum Nachhaltigkeit säen und pflanzen und hegen und pflegen.

Wenn ich mich rumhorche, stelle ich fest, dass mehr Frauen als Männer unter den multiplen Dauerkrisen leiden. Männer stecken es irgendwie gechillter weg, dass der Planet in allen Breiten-und Längengraden ächzt und die Jungen aufwachsen mit wachsender Drohkulisse kommender Katastrophen. Regt mich manchmal richtig auf, diese Gelassenheit. Und dann beneide ich sie wieder. Die Jungen selbst finden mitunter gute Wege. Zwischen den Jahren hab ich mit einer 22 Jahre jungen Frau gesprochen, die Konfliktforschung studiert und also aktiv am Frieden arbeiten will. Sie sagte, fast alle ihrer Generation überlegten sich ganz bewusst, ob sie in diese Welt Kinder setzen wollten, und viele entschieden sich dagegen. Was schade ist, wenn es genau diejenigen tun, deren Geist und Können hilfreich wäre, will ich meinen Dabei sagt sie auch, sie sei frei von Angst, „die macht es ja nicht besser“. Das ist tough. Bevor ich Kinder hatte, war ich auch angstfrei, fällt mir da ein. Das war ein Zustand der Gnade. Ich will gerne dahin zurück. Vielleicht geht’s mit den Händen im Boden.

Es haben sich drumrum ohnehin so viele Baustellen angesammelt, dass ich längst den Überblick verloren habe und gar nicht mehr weiß, wohin ich den Blick zuerst wenden soll. Und global wie national hat sich viel Dysfunktion breitgemacht. Ganze Ministerien und Einrichtungen arbeiten an ihren eigentlichen Aufgaben vorbei. Das Finanzministerium berät Reiche in Steuervermeidungswünschen, das Verkehrsministerium sabotiert öffentliche Mobilität, die Ausländerbehörde beschäftigt sich mit sich selbst und weist mit Vorliebe jene aus, die sich bereits integriert haben, die Kultusministerien orientieren sich nicht an der Bildung der SchülerInnen, sondern an den Wünschen der Wirtschaft, grüne und sozialdemokratische Politik engagiert sich für Krieg ohne Verhandlungen, … . Es ist sehr vieles sehr absurd. Und die Ampel steht nicht gut da. Die anderen werden allerdings kaum besser sein. Die scheitern auch an alten Zöpfen. Vielleicht wäre man in diesem globalen Kampf der Giganten allgemein besser aufgestellt mit etwas weniger Heuchelei und mehr Ehrlichkeit - wenn man aufrechter versuchen würde, dem eigenen Selbstverständnis tatsächlich gerecht zu werden. Wenn die Politik etwas geradliniger und glaubwürdiger wäre und nicht nur auf den momentanen Vorteil ausgelegt, und wenn die Demokratie nicht so sehr auf aktuelle  Wirtschaftsdaten reduziert würde.

Wir haben uns doch selbst die Hucke vollgelogen in Deutschland. Deutschland war „Weltmeister“, „bester“, als Fußballer, Dichter und Denker, als Papst und Umweltschützer, am fleissigsten und produktivsten. Man hat sich auf der eigenen Einbildung ausgeruht und nicht mitbekommen, wie verkorkst alles wurde und andere links und rechts überholten. Und jetzt ist der Katzenjammer groß. Einige träumen sich jetzt zurück in die gute alte Zeit, in der man den eigenen Illusionen noch geglaubt hat. Die anderen hirnen über Lösungswege.

„Moralinsäure“ ist mir neulich wieder vorgehalten worden. Ich hatte auf facebook ein Cartoon geteilt, das sich übers Böllern lustig gemacht hatte und darüber, dass es bisweilen dieselben Leute sind, die ein Vermögen fürs Böllern ausgeben und dann beklagen, wenn die Butter ein paar Cent teurer wird. Man gönne einander nicht mal mehr das Böllern, hieß es in einem  Kommentar. Ich meine, tat man doch! Es ist ja nun geböllert worden zu Hauf. Aber das muss doch nicht jede/r toll finden. Ich hielt dagegen und nannte „verkommen“, wenn maßloser Konsum und Wegwerfen unangefochten Lebensinhalt und Wirtschaftsmotor bleiben, während der Planet in allen Breitengraden ächzt, aber wenn jemand sagt "weniger tät´s auch" gilt der als moralinsauer. Pah. Da bin ich das dann gern und frisch von der Leber weg. Soll böllern wer will, aber anderntags rumheulen, wenn der Geldbeutel leer und die Straße versaut ist, muss man dann auch nicht.

Mit Liberalen lässt sich darüber nicht streiten. Das sind Wachstums- und Egoismusideologen. Mit den Rechten auch nicht. Die halten die eigene Unzufriedenheit für den Stein des Weisen und spielen „ich sehe was, was du nicht siehst.“ Und damit fühlen sie sich überlegen. Sie schreien „dagegen!“, „wir zuerst und alles unsers!“, nennen das „Kultur“ und jedes Argument ist obsolet. Wo kein Boden ist, wächst auch kein Verstand. Ich komm nicht drumrum – das ist schon ziemlich verblödet. Manche Klischees findet man ja auch bisweilen bestätigt.

Ich habe von einem Schweizer gelesen, der kam um in Deutschland zu arbeiten, in den 80er allerdings schon, und der gefragt wurde, wieso er das tut und wie er die Deutschen sieht. „Die Deutschen lieben Selbstanklagen“, sagte er. Das mag stimmen, aber es mutet mich doch ein wenig an wie narzistisch angehauchte Schizophrenie. Da zerreisst sich einer selbst in der Luft, schimpft sich in Grund und Boden, so dass das Gegenüber genötigt ist zu beschwichtigen, „so schlimm ist das doch gar nicht. Du bist doch prima, sieh hier und da die tollen Sachen!“, und – schwups – ist er zurück in der ansonsten zugrunde liegenden Selbstherrlichkeit, ist „best“, in so ziemlich allem, vielleicht mit einer oder zwei kleinen Einschränkungen, Lappalien bestenfalls, die die Großartigkeit kein bisschen schmälern.

Im Grunde könnte es ja recht einfach sein. Ist ja nicht so, dass Vermögen und Ressourcen nicht da wären. Aber die Reichen werden immer reicher, (sicher nicht „aus eigener Kraft“), und während 13 Milliarden Euro zb im bundesdeutschen Transformationsbudget (für mehr Nachhaltigkeit) gestrichen werden, bleiben die auf ihren Milliarden hocken wie Dagobert Duck und kommen mitnichten auf die Idee, etwas Bescheidenheit und gesellschaftliche Verantwortung zu üben, und der Rest schlägt aufeinander ein. Manche vermuten dahinter Komplotte und Verschwörungen. Ich tippe auf einen „nur“ aus allen Fugen geratenen Kapitalismus. Da ist ein Ungeheuer gewachsen. Dem ein Ende zu bereiten wäre ein längst überfälliger Akt der Nachhaltigkeit.

Wir sollten sie aus ihren Villen zerren, ihre Yachten und Flugzeuge kapern, ihre Parks beschlagnahmen und die Inseln belagern. Im Sinne der Nachhaltigkeit. Weil es so nicht geht. In Deutschland besitzen ein paar tausend Haushalte zusammen circa 1400 Milliarden Euro, das ist mehr als ein Drittel des gesamten deutschen Bruttoinlandsprodukts. Und diese Haushalte werden relativ gesehen viel weniger besteuert als jeder Arbeitnehmer. Es gibt kaum ein Land, das Arbeitseinkommen so hoch und Vermögen so niedrig besteuert. Weltweit betrug das Vermögen 2021 464 Billionen US-Dollar, 10 % der Erdbevölkerung besitzen davon mehr als 80 %. Aber diese paar Nimmersatten stecken im Astloch fest wie der Affe mit der Banane in der Faust. Entweder die Banane loslassen oder mit ihr in der Hand verhungern. Mit der geschlossenen Faust geht’s aus dem Astloch jedenfalls nicht raus. Es wäre ein Akt der Gnade sie zu befreien.

Das soll nun keine neue Front sein, kein zusätzliches Feindbild. Jedenfalls nicht nur. Aber es wäre halt man ein gutes Thema. Den Reichtum begrenzen, dafür mehr Gemeinwohl in der Wirtschaft. Was ließe sich nicht alles zum bessren wenden, wenn jeder seins dazu täte. Ich blase nicht zum Sturm. Aber wenn der sich irgendwo zusammenbraute, dann tät mich das interessieren.

Bis dahin geh ich gärtnern.

Allen Leserinnen und Lesern ein gutes Jahr 2024.

Hinweis: Die in dieser Kolumne geäußerten Ansichten und Meinungen sind allein die des/der Autors/Autorin und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten unserer Redaktion wider. Wir übernehmen keine Verantwortung oder Haftung für den Inhalt dieser Kolumne.

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